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Öffentliche Defizite verdoppeln sich

■ Steuerreform und deutsche Einheit reißen Löcher in die Haushalte Widersprüchliche Prognosen zur Arbeitsmarktentwicklung veröffentlicht

Wiesbaden (dpa/ap/taz) - Die Steuerreform und die Kosten der deutschen Einheit werden in die öffentlichen Haushalte der Bundesrepublik im laufenden Jahr ein mehr als doppelt so großes Loch reißen als im Jahr 1989: Nachdem die Deckungslücke zuletzt bei 26,6 Milliarden D-Mark lag, rechnen Bund, Länder und Gemeinden dieses Mal mit Haushaltsdefiziten von mehr als 60 Milliarden D-Mark. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Montag mitteilte, planen die Gebietskörperschaften Ausgaben in Höhe von 681,2 Milliarden D-Mark (plus 5,9 Prozent) und Einnahmen von 613,0 Milliarden D-Mark (minus 0,6 Prozent).

Das rein rechnerische Defizit von gut 68 Milliarden D-Mark werde sich aber noch reduzieren, da die Einnahme-Erwartungen der Gemeinden erfahrungsgemäß zu niedrig angesetzt seien, sagte ein Sprecher des Bundesamtes auf Anfrage. Daß sich die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben jedoch weiter öffnen wird, daran gibt es keinen Zweifel. Als Grund geben die Statistiker die Einnahmeausfälle in Höhe von rund 25 Milliarden D-Mark aus der Anfang Januar in Kraft getretenen dritten Stufe der Steuerreform an. Hinzu kommen die im Nachtragshaushalt veranschlagten Leistungen an die DDR, davon allein 2,2 Milliarden Mark für den Reisedevisenfonds.

Daraus errechneten die Statistiker beim Bund einen kräftigen Anstieg des Finanzierungsdefizits im laufenden Jahr um rund 14 auf 34,5 Milliarden Mark. „Bei den Ländern ergibt sich sogar insgesamt ein noch stärkerer Anstieg des Finanzierungsdefizites um über 15 Milliarden D-Mark auf 23,0 Milliarden D-Mark“, heißt es in der Mitteilung.

Die Gemeinden und Gemeindeverbände, die 1988 und 1989 noch Finanzierungsüberschüsse erzielen konnten, rechnen für 1990 mit einem Defizit.

In einem Interview mit der Illustrierten 'Bunte‘ hat der Vorsitzende des Sachverständigenrates Prof. Schneider die Befürchtung geäußert, daß es nach Einführung der „sozialen Marktwirtschaft“ in der DDR „vorübergehend eine Million Arbeitslose geben wird“. Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg hat derweil eine sehr optimistische Arbeitsmarktprognose veröffentlicht.

Nach einem Arbeitsmarktszenario des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit und der Universität Hamburg wird es bis zum Jahre 2000 voraussichtlich rund 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in der Bundesrepublik geben. In einem Bericht vom Montag wurde darauf hingewiesen, daß die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR und die absehbare Vereinigung der beiden deutschen Staaten sowie der EG -Binnenmarkt beachtliche Wachstums- und Beschäftigungsimpulse auslösten.

Das jetzt veröffentlichte Szenario sieht ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent pro Jahr vor. Bis 1995 könnte danach die Zahl der Erwerbstätigen auf 29,1 Millionen und bis zum Jahr 2000 auf 30,1 Millionen steigen. Dem stünde bis zur Jahrtausendwende eine Zunahme des Erwerbspersonenpotentials um rund 1,4 Millionen Personen gegenüber.

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