: Eine Nation zeigt Flagge
■ Streit um das Recht auf Verbrennung der US-Flagge wieder vorm Obersten Gericht
Berlin (taz) - „Sie ist, was die Schwarzen mit soul bezeichnen. Sie ist, was die Queen für die Briten ist. Ja, die Flagge ist unsere Königin.“ Soweit der Tele -Evangelist und Fundamentalist Billy Graham. So wie er denken viele im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das für alles seine Symbole hat. Was sich im Lauf der Einwanderungsschübe als lockerer Verbund verschiedener Traditionslinien und Kulturen formierte, brauchte jedoch dringend ein Identifikationsobjekt. Vater Staat sollte es keinesfalls sein. Königin Flagge war schon besser. Stars&Stripes: Daran hielten und halten sich viele fest, halten sie hoch, schwören mit glänzenden Augen ihren Eid auf die Fahne - vor Beginn des Schulunterrichts oder bevor man sich in die Niederungen der hohen Politik begibt. Doch gibt es auch eine kleine Minderheit, die nichts auf sie hält. Wir erinnern uns: Mit Vietnam fing alles an. Die Flagge wurde verkehrt herum aufgehängt, angezündet, Hendrix lieferte die musikalische Verzerrung des entflammten Zorns über den American way everywhere - den amerikanischen Weg auf der ganzen Welt.
Lange hörten wir nichts. Doch seit vergangenem Jahr gärt es in Politik und Justiz. Und es ist sicher kein Zufall, daß in Zeiten globalpolitischen Wandels der öffentliche Diskurs einer wankenden Supermacht, dessen Bewohner sich jüngsten Umfragen zufolge noch weniger als bisher für Politik oder Wahlen interessieren, sich an der Frage entzündet: Fällt das Verbrennen der Flagge unter die Grundrechte, die „Bill of Rights“ und ist dem ersten Anhang zufolge als Freiheit der Meinungsäußerung garantiert? Oder ist es „Schändung“ und so wie Kinderpornographie und Obszönität strafbar?
Das Oberste Gericht der USA stimmte vor elf Monaten trotz konservativer Mehrheit mit 5:4 für das Recht auf Flaggenverbrennung und annulierte damit ein texanisches Gesetz. Ein Sturm der Entrüstung fegte daraufhin durch die Kommentarspalten der Zeitungen. Daraufhin entwarf der Kongreß in leider fast zur Tradition gewordener Einmütigkeit zwischen Republikanern und Demokraten ein Gesetz, das das Flaggeverbrennen verbietet. Sprach's und warf es den RichterInnen vor die Füße. Ein Gutachter schrieb: „Flaggeverbrennen ist ein physischer, gewalttätiger Angriff auf vom ganzen amerikanischen Volk zutiefst geteilte Gefühle.“ Gestern nun berieten die RichterInnen, ob sie sich dem Druck beugen und ihre eigene Entscheidung vom vergangenen Jahr revidieren werden. Tun sie es nicht, wurde ihnen von verschiedener Seite angedroht, man müsse, so etwa New Yorks Gouverneur Mario Cuomo, „erstmals in der Geschichte der USA die Verfassung ändern“.
Andrea Seibel
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