: Kritteleien am Sieg der NRW-SPD werden nicht geduldet
Er habe, erzählt der Bonner Grüne Roland Appel zu vorgerückter Stunde, in den letzten beiden Wochen vor der Wahl „immer von diesem Infas-Kuchen geträumt. Also diese bunte Scheibe, wo sie dann die Sitze für den Landtag einteilen. Und dann hab‘ ich das grüne Tortenstückchen gesehen, und darunter stand eine kleine Elf. Ach, war das scheußlich!“ Appel stand auf Listenplatz 12, zwölf Grüne ziehen als Abgeordnete in den neuen NRW-Landtag ein. Immerhin, Appel träumte vom Einzug seiner Partei in den Landtag. Und daran wagten noch in der letzten Woche nur wenige NRW-Grüne zu glauben.
Gefeiert, wenn auch nicht überschwenglich, wurde in den Büros der Düsseldorfer Landesgeschäftsstelle am Volksgarten. Skeptische ZeitgenossInnen hatten zwei Stunden nach den ersten Hochrechnungen noch immer keinen Sekt angerührt. Gegen 21.30 Uhr vor den Fernsehern noch einmal erschreckte Gesichter. Während Siegfried Martsch, Vorstandssprecher und Agrarexperte, in der „Düsseldorfer Runde“ des WDR Johannes Rau gerade naßforsch eine unbequeme Opposition ankündigte und den WählerInnen für ihren „Vertrauensvorschuß“ dankte, gab das ZDF die neueste Hochrechnung von 21.21 durch: danach hatten die NRW-Ökos nur noch 5,0 Prozent. Die Spannung hielt sich, bis das vorläufige amtliche Endergebnis bekanntgegeben wurde: Jubel und Klatschen für den haarscharfen Sprung über die gefürchtete Hürde.
Beim Landeswahlamt war am Montag morgen zu erfahren, daß die zu spät eingegangenen Sendungen der BriefwählerInnen „nicht signifikant“ über den verspäteten Briefen bei früheren Wahlen lägen. Man war sicher, daß es keine Wahlanfechtung wegen des Poststreiks geben werde. Die Grünen, die nur mit 4.500 Stimmen über den magischen fünf Prozent liegen, müssen damit um ihr knappes Ergebnis nicht länger bangen. Mit knapp 38.000 Stimmen mehr als bei der letzten Landtagswahl 1985 haben sie nicht nur von der sehr niedrigen Wahlbeteiligung profitiert - die vor allem auf Kosten der SPD ging -, sondern auch ein paar neue WählerInnen gewonnen.
„Nicht auszudenken“, sinnierte Wahlkampfhelfer Hans Verheyen, „wie wir daständen, wenn wir es hier wieder nicht geschafft hätten.“ Bundespolitisch und auch in Hinblick auf gesamtdeutsche Wahlen, da sind sich die ParteistrategInnen in Düsseldorf einig, hat ihr Einzug in den Landtag die Chancen der Grünen verbessert. Weder über den Fraktionsvorsitz noch über andere Personalfragen wollten sie am Montag etwas sagen, allein ihren Anspruch auf eine grüne Landtagsvizepräsidentin meldeten sie bereits an.
Als Johannes Rau am späten Sonntag abend nach der Fernsehdiskussion in die Staatskanzlei zurückkehrte, empfingen ihn die Mitarbeiter und Parteifreunde mit „Bravo„ -Rufen und stürmischem Applaus. In der Regierungszentrale sah man trotz des Verlustes von 2,1 Prozent fast nur fröhliche Gesichter. Rau wollte von „Dämpfer“ nichts hören und erstickte jeglichen Ansatz von Kritik angesichts der Stimmenverluste in einer launigen Rede.
Kriteleien am SPD-Sieg werden nicht geduldet. Mit offenem Visier wagen sich die parteiinternen Rau-Kritiker nicht aus der Deckung. Klar ist, daß es so manchen SPD-Abgeordneten gibt, der froh ist, daß mit dem Einzug der Grünen nun im Parlament neue Töne zu hören sein werden, die zu äußern sich SPD-Abgeordnete in der Vergangenheit zwar gewünscht, aber nicht getraut hatten.
Am finstersten war die Stimmung am Sonntag abend bei der CDU. Verbittert registrierten die ChristdemokratInnen erneut, daß gegen Rau auch mit berechtigter Kritik nichts auszurichten ist. „Wahrscheinlich hätten wir sogar mehr Stimmen bekommen, wenn wir in den Chor der Lobredner eingestimmt hätten“, bilanzierte ein Christdemokrat. Norbert Blüm, der die Verantwortung für die Stagnation auf niedrigem Niveau mannhaft übernahm, wird, wie vorher angekündigt, Arbeitsminister in Bonn bleiben. Die klarste Konsequenz aus den Wahlergebnissen in Düsseldorf und Hannover zog am Montag der FDP-Landesvorsitzende und Bundesbildungsminister Möllemann. Er will einem Staatsvertrag nur dann zustimmen, wenn vorher ein endgültiger Wahltermin für gesamtdeutsche Wahlen vereinbart werde. Nach Möllemann kommt dafür nur der urspüngliche Bundestagswahltermin 2. Dezember oder der 13. Januar 1991 infrage.
Bettina Markmeyer/Walter Jacobs
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