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DDR-Wähler sollen Kanzler retten

Kohl nun doch für gesamtdeutsche Wahlen im Dezember / Nach den Niederlagen in Hannover und Düsseldorf geht der CDU-Kanzler auf Lambsdorff-Druck ein / Streit über Albrechts Stimme in Sachen Staatsvertrag im Bundesrat / Koalitionsgespräche ab Donnerstag  ■  Von Forudastan/Geier

Bonn (taz) - Einen Tag nach den Wahlniederlagen seiner CDU hat Bundeskanzler Kohl gestern nicht mehr ausgeschlossen, daß DDR und BRD am 2. Dezember ein gesamtdeutsches Parlament wählen. Nach einer Sitzung der CDU-Spitzen beließ es Kohl vor der Presse allerdings nur in Andeutungen: Die CDU bestehe darauf, daß am 2. Dezember die Bundestagswahl stattfinde, sagte der Parteivorsitzende. Wenn es aber darüber hinaus möglich sei, Wahlen auch im anderen Landesteil abzuhalten, sei er zu entsprechenden Gesprächen mit der DDR bereit. Allerdings sagte Kohl nicht klar, ob er damit eine DDR-Länderwahl oder Wahlen für ein gesamtdeutsches Parlament meine.

Unterdessen hat die FDP ihre Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember oder am 13. Januar zugespitzt. Nach einer Präsidiumssitzung erklärte FDP-Chef Lambsdorff, die Liberalen wünschten, daß im Staatsvertrag „nach Tag und Stunde festgelegt“ werde, daß die Vereinigung über Artikel 23 Grundgesetz erfolge.

Das schlechte Abschneiden der CDU bei den Landtagswahlen in Niedersachsen bezeichnete Helmut Kohl vor der Presse in Bonn als „bittere Niederlage.“ Nach seiner Darstellung hat die SPD mit einer „Doppelstrategie“ Erfolg gehabt: In der DDR sei die Forderung nach mehr Leistungen der Bundesrepublik erhoben worden, während man hierzulande die Sorge vor den Kosten der Einheit geschürt habe.

„Ich gehe davon aus, daß die SPD konstruktiv mit uns zusammenarbeitet“, so kommentierte er die Mehrheit, die die SPD-Länder nach der Regierungsübernahme in Hannover nun im Bundesrat übernehmen werden. Die Kritik der SPD am Tempo auf dem Weg zur deutschen Einheit, will Kohl auch weiterhin nicht berücksichtigen: Wer gegen die deutsche Einheit sei, solle dies offen sagte, bemerkte der Kanzler dazu. Er machte auch deutlich, daß der Staatsvertrag nicht im Sinne der DDR nachgebessert wird: Wer etwas anderes wolle, als „unser großzügiges Angebot“, solle sagen, wie das zu bezahlen sei.

Sowohl die Verlierer als auch die Gewinner der beiden Landtagswahlen vom Sonntag haben übereinstimmend erklärt, daß vor allem deutschlandpolitische Erwägungen eine Rolle beim Wahlergebnis gespielt haben. Der SPD-Vorsitzende Vogel interpretierte den Wählerwillen dahingehend, der Bevölkerung sei das Tempo der deutschen Einigung zu schnell, und sozial und umweltpolitische wie auch Verfassungsfragen dürften nicht „unter die Räder kommen“. Dagegen sieht sich Gerhard Schröder in Hannover mit dem Kanzlerkandidaten Lafontaine darin einig, die bundesdeutschen Wähler sorgten sich zunehmend um die Kosten der Einheit. Deutlich im Konflikt stehen damit die Forderungen des DDR-Ablegers der Sozialdemokratischen Partei nach entscheidenden Nachbesserungen der sozialträchtigen Eckwerte im Staatsvertrag, die aus dem Staatssäckel der BRD getragen werden müßten. Die finanzpolitische Sprecherin der West-SPD, Ingrid Matthäus-Maier jedenfalls hat sich offen dagegen ausgesprochen, „die Hilfsbereitschaft der Bundesbürger überzustrapazieren“.

Der Bundesrat wäre jetzt der Ort, wo die SPD noch korrigierend auf den Statsvertrag Einfluß nehmen könnte. Solange die SPD aber über die genauen Inhalte des Staatsvertrags nicht informiert sei, so Vogel nach einer SPD -Präsidiumssitzung gestern vor der Presse in Bonn, könne sie ihre Haltung im Bundesrat noch nicht konkret benennen. Vogel sagte weiter, der niedersächsische Wahlverlierer Albrecht habe angekündigt, er wolle noch bis zum letzten gesetzlich möglichen Tag seiner Regierungszeit im Bundesrat mitwirken, also auch bei der Abstimmung über den Staatsvertrag am 21. und 22. Juni. Das habe es, so Vogel, in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Die Legislaturperiode in Hannover endet am 20. Juni. Will die neue SPD-geführte Regierung über den Staatsvertrag im Bundesrat abstimmen, müßte das Kabinett Schröder bereits am 21. Juni vereidigt sein. Am Donnerstag will Schröder die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen beginnen. Bislang war die Konstituierung des neuen Landtags in Hannover erst für den 27. Juni geplant. Bis zur Vereidigung der neuen Regierung ist Albrechts CDU-FDP -Kabinett geschäftsführend weiter im Amt. Tagesthema Seiten 2 und 3

Siehe auch Seite 5

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