Prost Moderne

■ In Göttingen ist „Krieg“

Als sich die Schauspieler nach getaner Tat verbeugen wollten, begann der amüsante Teil des Abends. Was andernorts mit viel choreographischem Geschick und noch mehr Sinn fürs Diplomatische (wer geht wann zuerst?) einstudiert wird, die Applaus-Ordnung, hier geriet sie aus den Fugen: auf- und zufliegende Türen, hilfloses Gestikulieren, irritierte Blicke. Die Rede ist vom Jungen Theater Göttingen, an dem der erste Teil der Trilogie von Rainald Goetz, das 1988 einhellig gekürte Stück „Krieg“, in der Inszenierung von Jochen Fölster Premiere hatte.

Nach einer nahezu perfekt durchgestylten Bühnen-light-Show nimmt unversehens eine Komik von der Szene Besitz, auf die das Publikum zweieinhalb Stunden vergeblich hatte warten müssen. Nicht unschuldig daran ist das Bühnenbild, das während der Aufführung das Ensemble in Solisten trennt wie das Gefängnis seine Insassen. Einzelhaft. Jeder gegen jeden. Krieg.

„Die Feinde unserer Feinde sind auch unsere Feinde.“ Ute Helena Götz hat in den Guckkasten eine dreigeschossige Simultanbühne gebaut, die an ein im Abriß befindliches Haus erinnert, dessen fehlende Außenmauer das Innenleben bloßlegt. Was zunächst als harmloser Setzkasten anmutet, entpuppt sich zusehends als Folterinstrument für die Spieler. Eingepfercht zwischen Wand und Wand stößt ihre Gestik an die physikalischen Grenzen. Unten warten leicht geschürzte Mädchen wie die Damen der Hamburger Hermannstraße auf Kundschaft, oben prallen die gestählten Körper von Soldaten, zitiert aus vergangen Epochen blutiger Geschichte, im Takt der Musik auf Metall. Heavy metal. Übrig bleiben scheinbar zusammenhanglose Sprachfetzen, die frontal (die Bühne als Resonanzkörper) ins Publikum geschleudert werden: laut, im Stakkato rhythmisiert. Wo das Stück Dialoge vorsieht, hat die dramaturgische Schere Figuren zugunsten des Monologs herausgeschnitten, was den Text radikalisiert. Wo die Dialoge allerdings in Szene gesetzt sind, vermögen sie sich gegenüber der Expressivität der Arien nicht mehr zu behaupten. Vergleichsweise langatmig nehmen sich da diejenigen Passagen aus, in denen auf die Schönheit der Goetzschen Sprachexzesse nicht ausschließlich Verlaß und zusätzlich schauspielerisches Können gefordert ist.

An diesem Mißstand hat natürlich das Stück seinen Anteil. Es will Körper wie durch Elektrizität enervieren, nicht Seele ausströmen, will den Figuren Stimme und Glieder ausreißen, nicht ins Ganze fügen, will die dramatis persona auflösen, nicht kreieren. Es will die Rede als hohles Geschwätz vorführen, nicht Theaterdialoge schreiben. Gleichwohl erhält der Text über seine phonetische Musikalität hinaus eine Kohärenz durch zahllose Anspielungen, Verweise, Bezüge und Zitate. Die Wörter und Namenszuweisungen - Heidegger, Stammheimer und Stockhausen halten gewiß einer auf Sinn zielenden Fragestellung nicht stand, aber sie brechen Assoziationsfelder auf: historische, ideologische, ästhetische. Keiner dieser möglichen Wege ist Jochen Fölsters Inszenierung bereit einzuschlagen. Stattdessen wird die Textcollage szenisch collagiert, was zur Folge hat, daß eine ohnedies lose gewebte Textur explodiert und effektvoll als Asche in alle Winde verfliegt.

“...Steht da wer?

Das Stampfen ist ein rhythmisch tieffrequentes schweres Beben, das der Körper mit dem Magen auffängt, durchmischt mit einer Menge einzeln nicht unterscheidbarer, leichterer, metallener, rhythmischer Geräuschserien: Klickern, Rattern, Hämmern, Rasseln, Klirren, vor allem, unter allem, Stampfen, Beben, Stampfen, Beben. Der Boden zittert.“

Dies ist der Anfang einer Schlüsselszene, die anspielungsreich mit „The Texas Chainsaw Massacre“ überschrieben ist und in Wahrheit über das Theater spricht. Das mochte den Regisseur dazu verleitet haben, diese Szene kurzerhand aus dem Text zu streichen und sie akribisch und Satz für Satz zu bebildern. So muß die Fantasie des Autors dazu herhalten, die der Regie zu ersetzen, so kann der sprachlichen Poetik keine theatralische entgegengesetzt werden. Ist dies der Anfang vom weihevollen Umgang mit zeitgenössischen Texten, den man klassischen aus gutem Grund vorenthält?

Max Regensburger

Rainald Goetz: „Krieg“. Junges Theater Göttingen. Regie: Jochen Fölster. Bild: Ute Helena Götz. Die nächsten Aufführungen: 17. - 19.5. tägl.