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Die Genomanalyse als „Polizeiwissenschaft“

Juristen, Politiker und Naturwissenschaftler streiten über Anwendung und Konsequenzen des „genetischen Fingerabdrucks“ / Die Verfahren sind alles andere als ausgereift / Die Auflösung des menschlichen Individuums in einzelne Aminosäuren und Basenbuchstaben  ■  Von Peter Berz

„Und wenn wir jemand haben, der eines Gewaltverbrechens schuldig ist, schuldig gesprochen wird, dürfen wir dessen Speichel aus der Zelle nehmen und (Lüder)... (Tumult) ... Härlin: Wie wollen Sie denn das bitte machen? Speichel aus einer Zelle entnehmen ... (Tumult) ... Zwischenruf: ... na, er meint halt umgekehrt, er meint wahrscheinlich ... Lüder: ... nein ... nein .. aus der Knastzelle, meine ich ... (Tumult, Gelächter) ...“

Fragen der Genomanalyse waren Anfang Mai Gegenstand eines Seminars in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann -Stiftung. Versammelt, wie immer, die Prototypen der Gattung: Domdey, Genzentrum München; Cleve, Institut für Anthropologie München; Einwag, Bundesbeauftragter für Datenschutz; Deutsch, Mitglied der Enquetekommission „Gentechnologie“ des deutschen Bundestages, schließlich die Politiker Lüder (FDP), Seesing (CDU), Catenhusen (SPD) und Härlin (Grüne).

Vor dem Gesetz geht die wuchernde Entwicklung der Gentechnik in drei Schubladen vor sich: einem Gesetz zur Gentechnik (das letzte Woche Freitag verabschiedet wurde), einem Gesetz zum Embryonenschutz (zu dem ein Entwurf bereits vorliegt) und ein Gesetz zur sogenannten Genomanalyse (zu dem ein Entwurf in Vorbereitung ist).

Die Kommunikation zwischen Juristen-Politikern und Naturwissenschaftlern pendelt bei der Genomanalyse zwischen zwei Polen: Identifikation des Individuums (bei Erfassung, Fahndung und vor Gericht) und Auflösung des Individuums, seiner Gesundheit, seiner Aktivitäten in Serien von Sequenzen aus Aminosäuren, Genstücken oder Basenbuchstaben.

Das Epizentrum der Gefahr liegt dabei nicht in den Visionen, wie sie sich in ersten Schrecksekunden aufdrängen: der klonierte Mensch, staatliche Programmierung des Erbguts. Diese Horrorszenarien sind nur das, was im Wunsch/Angsthaushalt von uns Laien und Endverbrauchern ankommt. Einer Macht genügen dagegen schon einige kleine und harmlose Verfahren.

Bei dem Versuch, die einzelnen Gene des Menschen auf Genkarten für jedes Chromosom genau zu lokalisieren (Genomanalyse), gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens „genetische Kopplungskarten“. Normalerweise werden immer bestimmte Gruppen von Genen (Kopplungsgruppen) zusammen vererbt. Bei der Zellteilung und der Auftrennung der Chromosomenpaare geschehen jedoch auch Unfälle. Chromosomenteile brechen an bestimmten Stellen, werden durch Austausch mit anderen Chromosomenstücken wieder geflickt (Cross-over).

Es läßt sich nun feststellen, daß einige Gene häufiger zusammen das Chromosom wechseln als andere. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung folgert man daraus: bestimmte Gene liegen je nach Austauschhäufigkeit näher beieinander als andere. Solche Analysen, endlos wiederholt und berechnet, erlauben schließlich die Erstellung von Karten, in denen die gegenseitige Lage der einzelnen Gene zueinander verzeichnet ist.

Ein einfaches Verfahren aus der Molekularbiologie. Doch zugleich ein wenig mehr. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten zum Beispiel die Bewegungsbilder bei der Rasterfahndung: Man verfolgt Agglomerationen von Personen, bildet Personengruppen und isoliert dann daraus Schnittmengen oder Austauschhäufigkeiten. Insofern ist Genanalyse bereits vor jeder ihrer sogenannten „Anwendungen“ Polzeiwissenschaft.

Die andere Methode sind „topographische Genkarten“. Auf ihnen wird das „Bänderungsmuster“, das wie die Ringe eines Wurms aussieht, direkt, physikalisch erfaßt. Jedes beliebige Stück der DNA läßt sich mittels Hefelösungen millionenfach vervielfältigen. Durch die Vervielfältigung eines radioaktiv markierten Stücks Chromosom kann nun die Markierungsstrahlung so erhöht werden, daß sie ausreicht, um einen Film zu belichten. Auf ihm läßt sich dann das Bänderungsmuster sichtbar machen.

Längst, bevor die Klonierung des Menschen ansteht, haben die Verfahren der Gentechnolgie bereits vervielfacht, geklont, künstlich riesige „Populationen“ erzeugt - ohne daß es jemandem aufgefallen wäre.

Bei der Genomanalyse liegt der Anlaß zur Beunruhigung, so eine These von Benny Härlin, nicht in ihrem hundertprozentigen Erfolg. Absolut sichere Identifizierung einer Person durch Genanalyse ist längst nicht, wie häufig angenommen, Faktum. Bei Genanalysen innerhalb einer Familie, zum Beispiel der häufigste Fall bei Sexualdelikten an Kindern, unterscheiden sich die analysierten Sequenzen oft nur durch ein einziges Muster auf der Bänderung. Gerade aus dieser mangelnden Effizienz der Genanalyse bei „begrenzten Populationen“ kann aber, kurz und schnell, der anwesende Humangenetiker folgern: Um im Einzelfall entsprechendes Vergleichsmaterial zu haben, braucht man schon im Voraus die Genomanalyse ganzer Bevölkerungsgruppen. Und die Buchstabensequenzen des genetischen Fingerabdrucks lassen sich (im Unterschied zum konventionellen Fingerabdruck) mühelos in riesigen Mengen ins computerisierte Datennetz einfügen. Die Berliner Polizei hat kürzlich eine Spezialabteilung für genetische Fingerabdrücke eingerichtet.

Die zahllosen Dias und Schaubilder, die anläßlich solcher Veranstaltungen die Naturwissenschaftler auf die Mauer des Unverständnisses beim interessierten Laienpublikum werfen, sprechen mitunter eine deutliche Sprache. Auf einem waren zwei Spalten zu sehen: Links eine Serie, die mit dem Bildchen der Erdkugel beginnt und dann über das Comic eines Kontinents, eines Staatsvolks, einer Familie zum Scherenschnitt eines „Individuums“ führt. Rechts die Reihe, die mit dem Porträt einer Zelle beginnt und absteigt über Chromosomen, Proteine, Aminosäuren bis zu den Buchstaben der kleinsten Einheiten, den vier Basen G/C - C/G - A/T - C/G T/A -...

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