: Der blaue Brief
Frauenerwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in der DDR ■ Mit der FRAUENARBEIT auf Du und Du
Berlin (taz) - Die entscheidende Bedeutung der Frauenerwerbstätigkeit für die Einkommenssituation der privaten Haushalte in der DDR betont das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in West-Berlin (DIW) in seinem jüngsten Wochenbericht. Mit einer Erwerbsbeteiligung von 83 Prozent übertrafen die Frauen in der DDR 1988 deutlich ihre westlichen Schwestern, von denen nur jede zweite bezahlt arbeitet. Zwar bestehen auch in der DDR geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede, jedoch fließen, so der Bericht, dort immerhin 40 Prozent der Nettoeinkommen in Mehrpersonenhaushalten den Frauen zu, während die Frauen in den „Partnerhaushalten“ der BRD 18 Prozent der marktwirtschaftlich entstandenen Arbeitseinkommen beziehen.
Wichtigstes Instrument zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit war laut DIW der Aufbau eines nahezu flächendeckenden Systems der Kinderbetreuung. Ermöglicht wurde so auch die - zumindest formal - höhere berufliche Qualifizierung der Frauen in der DDR. Auch arbeitsrechtlich bestehen bessere Chancen für Mütter, in die Berufstätigkeit zurückzukehren. Neben dem Schwangeren- und Wochenschutz steht jeder Frau ein „Baby-Jahr“ zu, in dem eine Mütterunterstützung gezahlt wird, bis das Kind ein Jahr alt ist, ab dem dritten Kind erhöht sich der Zeitraum auf anderthalb Jahre. Die finanzielle Unterstützung entfällt dann, ein Anspruch auf den Arbeitsplatz mit vergleichbarer Bezahlung im selben Betrieb aber bleibt bestehen, bis das Kind seinen dritten Geburtstag feiert. Nach Auskunft des „unabhängigen Frauenverbandes“ in Ost-Berlin herrscht inzwischen jedoch eine eher „wilde Praxis“. Mütter erhalten teilweise „im Babyjahr einen blauen Brief“, und es wird versucht, ihnen eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu verwehren.
Bisher haben in den absoluten Zahlen der Arbeitslosenstatistik die Herren ihre Nase vorn, der Frauenanteil lag Ende April bei 43,3 Prozent. Alarmierend ist allerdings der überdurchschnittliche Anstieg der weiblichen Arbeitslosenrate seit Februar. In den ersten Monaten nach der Maueröffnung schlugen die Entlassungen bei der Stasi sowie der Abbau und die Umstrukturierung in anderen staatlichen Stellen und Organen, die typische Männerbereiche waren, in den Arbeitslosenstatistiken zu Buche. Von der neuen Entlassungswelle sind offensichtlich eher die Frauen betroffen.
Stellt das DIW in seinem Fazit noch fest, daß auch in Zukunft die Möglichkeiten zur Kinderbetreuung eine wichtige Voraussetzung für die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen ist, so deutet sich nach Ansicht des Frauenverbandes bereits „Druck auf die Plätze in den Krippen“ an. Am Prenzlauer Berg in Ost-Berlin wurde „noch zu Zeiten der Runden Tische“ durch Elterninitiativen der Fortbestand von Krippen durchgesetzt. Jetzt versuchen Betriebe, die zu Kostensenkungen gezwungen sind, die betrieblichen Krippen zu schließen oder in die Verantwortung der Kommunen zu übergeben.
Einzelne Kinderkrippen fordern von den Müttern bereits die Vorlage einer Arbeitsbescheinigung und nehmen nur noch die Kinder werktätiger Frauen auf. Setzt sich diese Praxis durch, so wäre der Kreislauf der Arbeitslosigkeit für die Mütter geschlossen: keine Arbeit - kein Krippenplatz, kein Krippenplatz - keine Arbeit.
Katrin Schröder
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