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Neue Lauscher in Honeckers Ex-Pfründe

■ Germanische Eichen im Mischwald friedlicher Koexistenz / Nationalparks und Biosphärenreservate sind im Entstehen / Schierer Luxus in der Schorfheide: ganzjährige Bodenheizung und -wässerung / Hochwertige Technik wird endlich einer sinnvollen Nutzung zugeführt

Neustrelitz (taz) - Ein Tag wie aus der Kinderzeit: Exkursion mit richtigem Verpflegungsbeutel (Multifootbak? -sezza) und der Plasteflasche voller Himbeersaft. Auf festen Sohlen durchs Revier und hören, was die Lehrerin erzählt. Das Heimatkundebuch beginnt zu leben, “...mit Fisch und Dachs und Vogelwelt stehn wir auf du und du“. Und irgendwann das Gefühl: da ist noch etwas hinterm Kaufhaus.

Besetzt mit deutsch-deutschem Umweltbewußtsein, schaukelt sich der Bus an diesem Montag im Mai über die schmalen Wege der Schorfheide. Den rund 30 grünen Experten drinnen sind die Palmen von Mallorca halb so wichtig wie die kleine einheimische Sensation am Feldesrand. Es sind Umweltschützer der ersten Stunde, Forstfachmänner, Aufbauleiter künftiger Nationalparks, geplant z.B. für die Rügener Stubnitz, das Elbsandsteingebirge, den Hochharz. Mit dabei auch die Leiter bereits bestehender BRD-Nationalparks - Henry Markowsky (NP Lüneburger Heide, ZDF-Reihe „Paradiese aus Menschenhand“) oder Dr. Hans Biebelritter (NP Bayrischer Wald, Generalsekretär der Europäischen Föderation der Nationalparks). Ebenso mit von der Landpartie Prof. Dr. Michael Succow, unter Modrow stellvertretender Umweltminister für Ressourcenschutz und Landschaftsplanung, damals die Hoffnung bewußter Ökologie gegen blinden marktwirtschaftlichen Fraß am Leib von Mutter Natur. Unter seiner Regie und auf Beschluß des zentralen Runden Tischs wurde noch am 16.März das sogenannte Nationalparkprogramm beschlossen - eine konkrete Absage an das schnelle harte Geld auf Kosten von Luft, Wasser und heilen Böden. Somit ein Politikum für die „an den Interessen aller orientierte Sicht“ von CDU und CDU. Die Geschichte der folgenden „Ablösung“ Succows ist ein Nekrolog auf die demokratische Wende.

Vorbei geht's an germanischen Eichen, deren Wipfel im Mischwald friedlicher Koexistenz den finnischen Birken kein „Ausländer raus!“ zurauschen (eher schon ein freundliches: „Na, auch noch da?“). Vorbei an Kieferbeständen, die wie weiland die langen Kerls vom alten Fritzen emporragen und dem Alter nach sehr wohl von ihnen gepflanzt sein könnten. Immer wieder hält das Gefährt, dann können wir in selten saubere Seen sehen, (rund ein Drittel - das sind 9.000 aller Seen in der DDR sind nicht mehr badefähig), und uns von der Exotik der Heimat berichten lassen: ganz in der Nähe brütet der Fischadler, eine Wildtränke plätschert, Biber bewirtschaften ihre Wassergrundstücke, zwischendurch wird fernes Gurren enträtselt, oder es gehen die ewig kurzbärtigen Ehewitze, wenn man auf Geweihe stößt.

An denen mangelt's nicht im Revier. Schließlich befinden wir uns in der Schorfheide, der Hauptregenerierungszone der ehemals wichtigsten Weidmänner eines Volkes. Hier schossen Mittag, Sindermann und jener Schützenkönig mit Thron im Politbüro ihre kapitalen Feierabendböcke. Deren Zahl ist noch immer beträchtlich. Tägliche Fütterung mit Devisenpellets, ein enger Lebensraum oder ganzjährige Bodenheizung und -wässerung der Weidäcker ließen sie prächtig gedeihen. Die Forstleute schätzen, daß die derzeit vier ehrenamtlichen Jagdkollektive (120 Mann) rund zehn Jahre zur Bestandsregulierung allein des Rotwildes benötigen

Das Jagdhaus Honeckers bzw. jenes der zu seinem Schutz Befohlenen soll übrigens zum Verwaltungszentrum eines entstehenden Biosphärenreservates (ungefähr Schorfheide / Choriner Endmoränenbogen) avancieren. Die Ausstattung ist bereits vorzüglich: Funkstation, metereologische Station, eigene Wasser- und Stromversorgung. Selbst technische Schmäckerchen sind lange vor Ort: Richtmikros etwa. Schon jetzt kann man den ersten Abhörskandal im Biberbau gegenwärtigen. Für derlei Forschung nämlich sollen die nunmehr harmlosen Lauscher dienen. Neben den sechs Nationalparks sind weitere sechs Biosphärenreservate sowie zwölf Naturschutzparks im Entstehen. Alle zusammen machen ca. 19 Prozent der Gesamtfläche der DDR aus, die genauen Grenzen sind noch Thema der Umweltschützer. Größeres Magendrücken allerdings bereitet ihnen die Unterstützung von Regierung und abwärts. Zum einem wird gebangt, daß das äußerst wirkungsbezogene Nationalparkprogramm ohne weiteres gekippt wird (die Kaltstellung Succows ist ein Indiz). Zum anderen scheint neben dem tätigen Interesse auch das Geld zu fehlen. Für den Naturschutzbeauftragten der Insel Rügen z.B. ist in seiner Funktion zum Aufbau des Stubnitz-Nationalparks nicht mal ein karges Gehalt abspeckbar, dafür kommt nun der World Wildlife Fund (WWF) auf - genau der mit den grünen Bambusbären im Emblem. Diese Umweltstiftung zur Rettung von Naturräumen bezahlt und organisiert, ebenso wie die bundesrepublikanischen Nationalparks, zugleich kostenlose Lehrgänge und Exkursionen in funktionierende Schutzzonen. Abzuwarten bleibt, wann derartige außerparlamentarische Entwicklungshilfe in punkto Ökologie der neuen Regierung zum „Politikum“ wird.

Maik Brandenburg

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