piwik no script img

ÖL, KREIDE, HOLZ

■ Ulrich Langenbach in der Galerie von der Tann

Die Galerie „von der Tann“ ist selbst für jene sehenswert, denen jegliche Art Kunst wurst ist. Besucher und Besucherin steigen von der Pariser Straße zwei Stufen hinauf und stehen in einem blendend hellen Raum auf weißen knarrenden Kieselsteinen. Sie sind fünf Zentimeter hoch als Musikinstrument aufgeschüttet. Durch die zwei Fenster zur Südseite knallt die Sonne auf den Kieselgrund, der den Reflex an die Wände wirft. Jeder Schritt scharrt. Besucher und Besucherin sind zum aufmerksamen Gehen angehalten. Wir sehen mit den Augen und hören, was unsere Füße machen. Das ist ungewöhnlich und für die Wahrnehmung förderlich.

Diese Innengestaltung verdient fast das Prädikat „brillant“. Sie ist den Bildern dienlich (Licht), werbewirksam als Styling (Environment), erinnerbar in einer Gegend, wo die Galerien so zahlreich sind wie am Winterfeldtplatz die Cafes: eine/s ist immer in Sicht. Aber diese Innengestaltung ist nur fast brillant, denn nicht alle Bilder können diesen Raum aushalten. Zarte Aquarelle oder Temperabilder in spröder Mattigkeit könnten ausgeblendet werden.

Die Arbeiten von Ulrich Langenbach behaupten sich in diesem Raum. Keine Bilder, keine Skulpturen, keine Zeichnungen und auch keine objets trouves sind zu sehen, sondern Dinge, die noch keinen Namen haben und mit dem Begriff „Hieroglyphik“ nur vage umrissen sind. In dieser Lage bleibt dem Kritiker die Möglichkeit, von Einflüssen und Korrespondenzen zu sprechen (Klee, Miro, Arte Cifra), oder sich zu Spekulationen hinreißen zu lassen (verträumte Mathematik, Beziehungen zwischen Technik, Körper, Natur durch Design, Zeichnung, Holz und Pigment; Versuch, eine Kosmogonie zu errichten, usw.). Natürlich kann der Kritiker auch die Pressemappe abschreiben und weitergeben, was Künstler und Galeristin lanciert haben wollen. Er kann von seinen Gefühlen angesichts der Objekte schreiben oder noch schlimmer: nach dem Strickmuster „es gefällt/es gefällt mir nicht“ vorgehen. Von Langenbach erfährt man: „Durch die Beschränkung auf wenige Farben, Formen, Materialien versuche ich, eine größtmögliche Einfachheit und sinnliche Flüchtigkeit zu erzielen.“ Langenbach antwortet in wohlgesetzter Bescheidenheit. Aber diese Selbstaussage gilt für 40 Prozent anderer künstlerischer Arbeiten von anderen Künstlern auch und ist nicht spezifisch für seine eigene Arbeit und ohne differnzierenden Wert.

Die Besonderheit dieser Objektbilder liegt erstens darin, daß sie die Betrachter/innen zur Reflexion der Qualitätskriterien herausfordert. Denn es ist möglich, daß dieser Künstler blufft. Die Zeichenmappe ist prall von Krikelkrakel, scheinbar blind gezogenen Linien. Ist das kunstlos oder besessen, dieser Drang, immer wieder noch einmal zu beginnen? Die Zeichenmappe ist die Vorarbeit zu den Objektbildern. Hier entsteht traumwandlerisch und wie zufällig, was nachher zu einem Objekt ausgearbeitet wird: mit klaren Strichen, kalkulierten Linien, monochromen, meist schwarzem Farbauftrag auf Holz, das wie Treibgut gebrochen, gesplittert ist, abgebrochene Ecken und eine eigene Geschichte hat.

Zweitens bedient sich Langenbach sich universaler Zeichen wie Quadrat, Dreieck, Linie, Kreis. Er zieht ohne abzusetzen eine Linie, die sich zu einem Dreieck formt und von einem Winkel in Wellenlinie ausläuft. So gewinnt er aus geometrischen Grundformen mehrdeutige Gebilde: wiedererkennbar als mathematisches Zeichen, als Drachen mit Schweif und als reines Bildelement. Die Lesbarkeit schwankt zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Er nimmt also Zeichen aus der Geometrie und überführt sie ins kindliche, verspielte Zeichnen, kehrt den Bildungsprozeß um, verführt die Geometrie zur Phantasie. Drittens favorisiert er Hochformate und spitze Dreiecke. Viele Objektbilder sind vertikal gerichtet, ebenso Pergamentrollen und Installationen. Dies kann als symbolische Form gedeutet werden, ist aber nicht zwingend. Von Langenbach selbst wird jeglicher Kommentar im Titel zurückgehalten. Er gibt den Objektbildern und Installationen nicht einmal den Titel Ohne Titel, sondern besteht auf dem Material Öl, Ölkreide, Dispersion, Holz und Graphit und Pergament auf Holz. So ergeben sich keine Sinnbilder, obgleich die Zeichnungen und Formen Anekdoten und Lesbarkeit anspielen. Es ergeben sich Rhythmen von Bildelementen, die für Deutungen offen sind.

Peter Herbstreuth

Ulrich Langenbach bis zum 9. Juni in der Galerie von der Tann, Pariser Straße 7.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen