piwik no script img

„De Maiziere wird nicht auf stur schalten“

■ Wird der Schwulenparagraph 175 StGB bei der Wiedervereinigung in der DDR wieder eingeführt oder in der BRD endlich abgeschafft? / Anläßlich einer Ausstellung zur Geschichte des 175ers zeigte sich die Ostberliner CDU optimistisch

„Möge die Geschichte des Paragraphen 175 ein rühmliches Ende finden!“ Mit diesem frommen Wunsch eröffnete Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) am Donnerstag abend im Rathaus Schöneberg eine Ausstellung über die Historie des ganz und gar unrühmlichen Schwulenparagraphen, der beim kommenden Anschluß der DDR an die BRD auch den Schwulen „drüben“ nun wieder droht. Die Ausstellung, die die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen von den Verbrennungen der „Sodomiter“ im 16. Jahrhundert über die Vernichtung der Schwulen durch die Nazis bis zum Kampf der neuen Schwulenbewegung gegen den 175er zeigt, wurde vom Verein der „Freunde eines Schwulen Museums in Berlin“ organisiert. Die seit fünf Jahren bestehende Initiative hat bereits eine umfangreiche Sammlung zusammengetragen und mehrfach Teile davon ausgestellt. Ihr Ziel ist jedoch ein festes Museum mit eigenen Räumen.

Justizsenatorin Limbach forderte in ihrer Eröffnungsrede zwar die Streichung des Paragraphen 175 auch in der BRD und betonte, daß „das Strafrecht Intimbeziehungen nicht befriedigend regeln“ könne - doch ob die Streichung ersatzlos passieren soll (wie in der DDR in zwei Etappen 1968 und 1988 geschehen), ließ die Limbach offen. Hinsichtlich des Jugendschutzes müsse man auch „geduldig auf die Ängste der Eltern eingehen“, eine Schutzaltersgrenze analog zum für Mädchen unter 16 geltenden „Verführungsparagraphen“ 182 StGB schloß sie nicht aus. Damit liegt die Senatorin ganz auf der in den Koalitionsverhandlungen festgeschriebenen rot-grünen Linie, die keine ersatzlose Streichung vorsieht. Sie steht aber im Widerspruch zu Forderungen der AL, zu einer Bundesratsinitiative des SPD/FDP-regierten Hamburg sowie auch der Haltung des Regierenden Momper, der schon 1983 noch als einfacher Abgeordneter der SPD - die ersatzlose Streichung forderte.

Berlin solle sich der Hamburger Initiative anschließen, forderte die AL-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Sie zitierte Adorno: Gegen den 175er lasse sich nicht mehr argumentieren, man könne nur noch an seine Schmach erinnern. „Hierbei hinkt die DDR einmal nicht der BRD hinterher“, sagte Walter Arnold, der für die Ostberliner CDU ins Rathaus Schöneberg gekommen war. Von der liberalen Linie werde sein Landesverband nicht abweichen. Nun müßten „auch in West -Berlin und der BRD die Weichen genauso gestellt werden“. Manfred Herzer vom „Schwulen Museum“ äußerte sich überzeugt davon, daß die zukünftige Entwicklung „entweder ein großes oder ein kleines Übel bringen“ werde, nämlich entweder eine Ausdehnung des 175ers auf die DDR oder eine einheitliche Schutzaltersgrenze von 16 Jahren. Eine Umfrage seines Vereins unter den Parteien habe dies bestätigt.

Die Fragen des Schutzalters und ob das Strafrecht im Bereich Sexualität überhaupt wünschenswert sei, beherrschten auch eine anschließende Podiumsdiskussion zum Thema Paragraph 175 in einem zukünftig vereinten Deutschland. Während der schwule AL-nahe Abgeordnete Dieter Telge die ersatzlose Streichung forderte und daran erinnerte, daß der gesamte Komplex „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ des StGB überdacht werden müsse, trat Justizsenatorin Limbach auf die Bremse. Sie meinte in bezug auf den 175er, daß man auch diejenigen sehen müsse, „die diese Lebensweise nicht akzeptieren und gutheißen“. Damit handelte sie sich den Publikumszuruf „gesundes Volksempfinden“ ein. Der Ostberliner PDS-Chef Adolphi äußerte sich optimistischer, was die Streichung angeht; in der DDR habe es auch keinen Aufstand deshalb gegeben: „Ich erwarte keine schwierige Reaktion der Bevölkerung.“ Man werde aber trotzdem „darum ringen müssen“. Einer stand mit seinem Optimismus allerdings ziemlich allein: Walter Arnold von der Ost-CDU. Seine Hoffnung, daß „Ministerpräsident de Maiziere schon nicht auf stur stellen“ werde und sich gegen die keineswegs streichungswillige West-CDU durchsetzen könne, fand auf dem Podium und im Saal kaum Anhänger.

kotte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen