: Die Armen live im Wohnzimmer
■ William Nicholsons Fernsehspiel „Der Marsch“ um 20.15 Uhr in der ARD
Schon bevor er im Rahmen der groß angelegten Medieninitiative Eine Welt für alle ausgestrahlt wird, hat Der Marsch auf Europa für Turbulenzen gesorgt und und dazu geführt, daß die ARD eine Anschlußdiskussion mit dem Titel Festung Europa? sendet. Herbert Leuniger, Sprecher von „pro asyl“, befürchtet, daß der Film „in der Öffentlichkeit einen verheerenden Eindruck hinterlassen wird und allen Bemühungen, ein besseres Klima für die Aufnahme von Flüchtlingen zu erreichen, schweren Schaden zufügt“.
Die Story des Fernsehspiels der BBC, eine der aufwendigsten Produktionen in der britischen Mediengeschichte, ist einfach: In einem Flüchtlingslager im Sudan wird die Situation immer verzweifelter. Einige brechen auf, um dorthin zu gehen, wo der Hunger und die Hilfe herkommen: Europa. Angeführt von dem weisen Ex-Lehrer Isa El Mahdi gespielt von Malik Bowens, dem breiten Publikum bekannt als Meryl Streeps Diener in Jenseits von Afrika - wandern sie durch die Wüste bis an die marokkanische Küste. Ihre Botschaft ist provozierend eindeutig: „Wir sind so arm, weil ihr so reich seid. Und jetzt kommen wir zu euch, damit ihr uns in euren Straßen sterben seht.“
Natürlich wird der Marsch sofort entdeckt - und zu einem internationalen Medienereignis gemacht: Hubschrauber spucken Kamerateams aus, die Armen sind live in den Wohnzimmern der Wohlstandsnationen zu besichtigen. Panik und Hilflosigkeit brechen aus: Hektische Sitzungen bei der EG; Abwehr, Haß und Schuldgefühle bei der Bevölkerung. An der spanischen Küste wartet die neu gebildete europäische Armee, um den Wohlstand zu verteidigen.
Drehbuchautor William Nicholson, bekannt durch sein Fernsehspiel Oppenheimer, arbeitet mit Klischees und Spiegelungen: Wir sehen im Fernsehen Leute, die sich den Marsch in der Glotze angucken. Ihre Reaktionen könnten die der realen Fernsehzuschauer sein.
Die Hauptpersonen des Films scheinen wie alte Bekannte. Die Afrikaner sind weise, würdevoll und haben den tragischen Part: Sie verlassen das Lager und damit ihre Opferrolle, um gleich darauf den Gesetzen der Medien und schließlich der Armee unterworfen zu werden. EG-Kommissarin Clare Fitzgerald, die gutwillige, aber machtlose Entwicklungsbeauftragte, ist so wie tausend Filmheldinnen vor ihr: menschlich bemüht, hilflos. Anders als in üblichen Abenteuerfilmen fehlt der männliche Held an ihrer Seite, der alles zum guten Ende bringt. Die weißen Männer kommen schlecht weg: Bestenfalls sind sie zynisch, schlimmstenfalls machtbesessene Technokraten. Dazu gibt es geschliffene Dialoge, die dem Zuschauer die Welt und die Story erklären und schwarzen Humor britischer Machart. Der Marsch ist tatsächlich ein Problemfilm, in dem der real existierende Zynismus von einigen Handlungsträgern noch übertroffen wird. Für Autor William Nicholson steht der Film in der Tradition der „Was wäre wenn„-Fernsehspiele, die die Zuschauer aufrütteln wollen.
Die Frage, so Nicholson, sei aber nicht, ob so ein Marsch tatsächlich stattfinden könnte, sondern „ob wir alle in der gleichen Welt leben, ob wir für die Armut verantwortlich sind?“ Warum dafür der Kunstgriff eines erfundenen Massenmarsches notwendig war, bleibt Nicholsons Geheimnis. Denn die reale westeuropäische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge hat die Filmwirklichkeit längst eingeholt. Genug Stoff für Empörung - zuviel Kompliziertes für ein Fernsehspiel?
Barbara Küppers
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