: Gabriela Sabatini wurde gestoppt
■ In einem Mammutmatch unterlag die Weltranglistenfünfte der Italiernerin Sandra Cecchini mit 4:6, 6:3, 4:6
Würde Sandra Cecchini aus Bologna bei den Männern spielen, brächte sie wahrscheinlich kein einziges Match regulär zu Ende. Die Spielergewerkschaft ATP nämlich hat vor einigen Wochen einen mehrsprachigen Schimpfwortkatalog vorgelegt, damit die Schiedsrichter nicht immer nur Vertreter von Weltsprachen wie den geplagten John McEnroe disqualifizieren, sondern auch unflätige Schweden, Sowjetbürger, Italiener, Deutsche und andere idiomatische Randgruppen auf der Stelle dingfest machen und ihrer gerechten Strafe zuführen können. Den italienischen Teil des ATP-Schimpfwortkataloges dürfte die 25jährige Bologneserin vollständig in ihrem Repertoire haben, wahrscheinlich könnte sie seinen Umfang sogar mühelos verdoppeln.
Zu ihrem Glück haben die sprachlichen Saubermänner im Frauentennis noch nicht Fuß gefaßt und so konnte die 1,69 große Italienerin im Match gegen Gabriela Sabatini nach Herzenslust ihre ungezählten „Culo-“, „Cazzo-“ oder „Vaffanculo„-Rufe über den Center Court schallen lassen. Kaum ein Ballwechsel blieb unkommentiert, nach kleinen Fehlern ihrerseits verfluchte sie ausgiebigst den Ball, ihren Schläger, den Himmel, die Ballkinder und sich selbst, nach großen Fehlern brach sie dann überraschend in breites, höhnisches Grinsen aus, während sie die Irrtümer ihrer Kontrahentin meist mit säuerlich-beifälligem Vorsichhingrummeln quittierte. Mit einem Wort: Sandra Cecchini ist Augen- und Ohrenweide zugleich, eine jener Spielerinnen, die das Profitennis so liebenswert machen.
Ihre Kunst ist allerdings nicht nur verbaler Natur, schon vor drei Jahren hatte sie Steffi Graf an gleicher Stelle im Halbfinale am Rande einer Niederlage und mußte sich im dritten Satz nur knapp mit 4:6 geschlagen geben. Ihre Tugenden von damals demonstrierte sie auch gegen Sabatini. Enormes Laufvermögen, plazierte, sichere Grundlinienschläge und vor allem immer wieder geniale Stoppbälle, wie sie besser nicht gespielt werden können. „Ich habe das Match mit den Stopps gewonnen“, sagte sie hinterher, was auch ihre Gegnerin ohne weiteres zugab.
Gabriela Sabatini nämlich haßt diese Bälle wie die Pest, und sie schien jedesmal zu überlegen, ob es wirklich der Mühe wert sei, um eines läppischen Sieges willen so weit zu rennen. Wenn sie dann doch lief, war es meist zu spät, zumal die nassen, schweren Bälle an diesem regnerischen Tag auf dem feuchten Untergrund kaum hochsprangen.
„Vor zwei Jahren hat sie viel besser gespielt“, sagte Sandra Cecchini über das Spiel der Argentinierin, die am Tag nach ihrem 20. Geburtstag vor allem wegen der beiden Regenpausen selten ihren Rhythmus fand. „Ich hatte heute einfach eine negative Einstellung zum Spiel“, sagte sie sichtlich enttäuscht. Grundsätzlich sei sie jedoch in einer „perfekten Form“.
Die Entscheidung im dritten Satz fiel beim Stande von 3:3, als das Match inklusive Pausen schon fast viereinhalb Stunden gedauert hatte und die Temperatur auf elf Grad gesunken war. Nachdem Sabatini vorher eine leichte Oberhand zu gewinnen schien, ließ ihre Konzentration plötzlich rapide nach, sie schlug mehrere leichte Bälle weit ins Aus, und Cecchini zog auf 5:3 davon. Beim Stande von 5:4 hatte die Italienerin dann zwei Matchbälle, und um 20.51 Uhr verwandelte sie nach zweieinhalb Stunden reiner Spielzeit den zweiten zu einem der größten Siege ihrer Karriere selbstverständlich mit einem Stopp und einem fröhlichen Kraftwort auf den Lippen.
Matti Lieske
Achtelfinale: Judith Wiesner (Österreich) - Mary Joe Fernandez (USA) 0:1, Aufgabe Fernandez; Monica Seles (Jugoslawien) - Magdalena Malejewa (Bulgarien) 6:2, 6:3; Conchita Martinez (Spanien) - Larissa Sawtschenko (UdSSR) 6:3, 6:1.
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