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das Dilemma bleibt

■ Am Sonntag wird in Rumänien erstmals nach dem blutigen Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu gewählt. Die Auswahl ist auf den ersten Blick riesig. Achtzig Parteien treten an, tatsächlich relevant sind jedoch nur drei. Außer der Nationalen Rettungsfront unter dem Interimspräsidenten Ion Iliescu stellen noch die Liberalen und die Nationalkonservative Bauernpartei einen Präsidentschaftskandidaten. Die demokratische Opposition hat es in Rumänien noch nicht einmal geschafft, eine eigene Alternative zur Wahl zustellen. Aus Bukarest Erich Rathfelder

Ion Iliescu, Regierungschef und Führer der „Front zur nationalen Rettung“, rief seine Anhänger zum Abschluß des Wahlkampfes zusammen. Rund 80.000 Menschen folgten am Donnerstag nachmittag seinem Aufruf. Obwohl die Sympathisanten der Front Rosen in den Händen hielten - die Rose ist das Symbol der Partei - und Iliescu lautstark hochleben ließen, lag eine seltsame Spannung über dem Platz im Herzen von Bukarest. Denn alle warteten nur auf das Zeichen, das nach Abschluß der Rede Iliescus auch kam: „Laßt uns zum Platz vor der Universität ziehen, um dort dem politischen Gegner der Front die Fäuste zu zeigen.“ Zehntausende zogen in Richtung Universitätsplatz, der seit Wochen von Demonstranten antitotalitärer und nationalistischer Couleur belagert wird.

Anders als vor der Uni gaben in dieser Demonstration Arbeiter den Ton an. Für bärtige und langhaarige Zuschauer war die Situation richtiggehend brenzlig: Ein Intellektueller wurde aus dem Wagen gezerrt und nur durch das beherzte Eingreifen eines Offiziers gerettet. Der traditionelle Anti-Intellektualismus der rumänischen Arbeiter ist von Iliescu selbst noch einmal angeheizt worden, als er vor zwei Wochen die Demonstranten auf dem Universitätsplatz als „Golan“ beschimpfte, als Rowdys und Taugenichtse.

Kurz bevor der Zug die Uni erreichte, sorgten Ordner dafür, daß die Arbeiter in den Seitenstraßen weiterdemonstrierten. Die Konfrontation wurde dadurch vermieden. Hätte es eine Straßenschlacht gegeben, so ein Oppositioneller, wären die Wahlen vermutlich geplatzt. Die Front begnügte sich mit einer Drohgebärde.

Auf dem Universitätsplatz, wo ebenfalls rund 80.000 Menschen auf die Schlacht warteten, machte sich Erleichterung breit. Die Drohung der Front schien die Einschätzung der Demonstranten zu bestätigen, die in ihr nur das Sammelbecken aller alten Kräfte sieht.

Ein Ingenieur und ehemaliger Kommunist, der seit dem 24.April für Freiheit und Demokratie demonstriert, sieht sich auf dem Universitätsplatz in eine „Schule der Demokratie“ versetzt. Daß hier nationalistische Parolen und religiöse Andachten mit radikaldemokratischen Inhalten konkurrieren, stört ihn nicht: Jeder solle die Freiheit haben, zu sagen, was er sagen wolle: „Wir müssen lernen, uns gegenseitig zu respektieren.“ Doch für die Führer der Front will er das nicht gelten lassen. „Nieder mit dem Kommunismus“, diesen immer wiederkehrenden Schlachtruf stimmt auch er inbrünstig an.

Auch für eine - in der Zeit Ceausescus kompromittierte Filmkritikerin, die in der Front die Überbleibsel der Vergangenheit sieht, ist der Durchbruch zur Demokratie nur im bedingungslosen Kampf gegen die Front zu erreichen. Dort sammelten sich all jene, die die Angst vor dem Kapitalismus und der Öffnung zu Europa verspürten, die den „schlechten Vater“ Ceausescu durch den „guten Vater“ Iliescu ausgetauscht hätten. Daß es auch progressive Kräfte in der Front geben könnte, will sie nicht wahrhaben.

Das Machtgefüge

Ist die Front nicht als das Sammelbecken der Kompromittierten des Ceausescu-Regimes zu sehen? „In allen Parteien sind Securitate-Anhänger, alte Parteikader, ehemalige Hofdichter tätig“, glaubt Radu Filipescu. Der unabhängige Kandidat und Altdissident stellte Anfang der achtziger Jahre in einer Einzelaktion eine Flut von Flugblättern her und bewirkte damit indirekt Ceausescus Dekret über die Registrierung aller Schreibmaschinen. Jetzt arbeitet er bei der „Gruppe für sozialen Dialog“ mit, die mit ihrer Zeitung 22 - so benannt nach dem 22. Dezember, als Ceausescu stürzte - einen kritischen Journalismus betreibt. Liviu Petrina, der früher zum persönlichen Stab von Elena Ceausescu gehörte, berichtet der Dissident, sei inzwischen Generalsekretär der strikt antikommunistisch und nationalistisch auftretenden Bauernpartei geworden. Oder der Fall Joan Hobana, wirft ein anderer Schriftsteller ein. Der frühere Hofdichter sei nun bei den Ökologen untergeschlüpft.

Für den Historiker Dan Oprescu ist an der gegenwärtigen Entwicklung nur wichtig, was zu einer „civil society“ führe: „Noch ist das Herrschaftsgefüge geschlossen und die Reform nicht weit vorangekommen. Die Nomenklatura hat immer noch die Macht.“ Aber immerhin zeige die Wahl, daß die Front bereit sei, die Macht aufzugeben, wenn das Wahlergebnis danach sei.

Tatsächlich ist die Front ein heterogenes Gebilde. Die regionale Front in Temeswar beispielsweise unterzeichnete die oppositionelle „Proklamation von Temeswar“ mit, was bei den Demonstranten vor der Universität lauten Jubel auslöste. Dies ist um so bedeutsamer, als in der Proklamation die Entfernung aller aus dem öffentlichen Leben gefordert wird, die unter Ceausescu der Nomenklatura angehörten. Für Dan Oprescu stellt sich allerdings die Frage, wie die Definition für den Ausschluß aussehen soll: Wer ist mit der Forderung gemeint, wenn man sich beispielsweise vor Augen hält, daß Iliescu in der Ceausescu-Zeit entmachtet wurde, aber einer der jetzigen Wortführer der demokratischen Bewegung, Oktavian Paler, bis zuletzt als Chef des Fernsehens und der offiziellen Parteizeitung 'Romania Libera‘ agierte?

Entwicklung der

Demokratie

Wie aber soll die Entwicklung einer „civil society“ in einem Land erreicht werden, das nach 40 Jahren Diktatur gerade anfängt, Formen für die politische Auseinandersetzung zu finden? „Man muß einfach feststellen, daß viele Rumänen politische Analphabeten sind“, erklärt Dan Oprescu. Bisher wurde alles von oben bestimmt. Das gegenwärtige Parteiengefüge reflektiere diese Situation. Die politische Landschaft sei mit über 80 Parteien völlig unübersichtlich, wobei kaum eine der Gruppierungen sich auf eine soziale Bewegung beziehe. Auch wenn die Front von der Arbeiterklasse gewählt würde, entspräche das weniger den selbstbewußt ausgedrückten Interessen dieser Wähler als vielmehr dem alten paternalistischen Verhältnis der Partei zu den Massen. Die Liberalen blieben in ihren Erklärungen ziemlich diffus, einzig ihr klares Bekenntnis zum Kapitalismus sei durch Interessen der städtischen Mittelschicht geprägt.

Bei den anderen Parteien sind nach Einschätzung Oprescus nicht einmal solch rudimentäre Anknüpfungspunkte an gesellschaftliche Gruppierungen zu erkennen. Die nationalkonservative Bauernpartei habe überhaupt nur bei den Rumänen in Siebenbürgen ernsthafte Chancen und dies auch nur unter Ausnutzung des Nationalitätenkonflikts. Alle anderen Parteien werden diese erste Wahl kaum überdauern.

Deshalb setzen die meisten Intellektuellen der Gruppe „Sozialer Dialog“ weder auf die „zweite Revolution“ der diffusen Radikaldemokraten auf dem Universitätsplatz noch auf die Reformer in der Front. Ihr Optimismus speist sich aus der Hoffnung, daß eine Öffnung nach Europa ökonomische Zwänge schaffen würde, die radikale Veränderungen notwendig machten.

Die Lage der Volkswirtschaft ist nach wie vor katastrophal. Nach dem Scheitern der Kommandowirtschaft hat sich noch kein neues Modell durchgesetzt, stattdessen sinkt die Produktion. Das, so hoffen sie, wird jede neue Regierung zu Privatisierungen und Auslandsinvestitionen zwingen, die die Öffnung des Systems voraussetzen. „Entscheidend ist aber auch, daß eine zivile Gesellschaft entwickelt wird. Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt“, sagt Dan Oprescu.

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