: „DER ZUSAMMENHALT IST INNIG“
■ „Objektiv gegen rechts“ - Eine Filmreihe zum Neofaschismus im JoJo-Club (Berlin-Mitte)
Wer aus dem West-, wer aus dem Ostteil der Stadt am Montag, dem 14.Mai, in den JoJo-Club gekommen war, ließ sich erst beim Kassensturz nach Ende der Veranstaltung feststellen. Gut die Hälfte der zahlreichen BesucherInnen hatte den Eintritt in D-Mark entrichtet. Offenbar gibt es eben in beiden Teilen der Stadt ein großes Verlangen, Neofaschismus zu diskutieren, meinte Merle Kröger, eine der Veranstalterinnen vom AStA der FU Berlin: Neofaschismus sei „ein gesamtdeutsches Problem“.
Dementsprechend wird an jedem der vier Montagabende sowohl ein Film aus der DDR als auch einer aus der BRD gezeigt. Inwiefern Neofaschismus nun tatsächlich ein gesamtdeutsches Phänomen ist oder ob das Offenbarwerden rechtsradikaler Tendenzen in der DDR im Lauf der letzten zwei Jahre nicht auch differenzierter einzuschätzen wäre, konnte am vergangenen Montag nicht ohne weiteres diskutiert werden, denn der DDR-Beitrag des Abends, der Dokumentarfilm Kamerad Krüger, war, wie auch der westdeutsche Beitrag, exklusiv dem Thema „Faschismus in der BRD“ gewidmet. Waschechte „Rowdies“
Zweifellos ist Kamerad Krüger, von den Dokumentaristen Heynowsky und Scheumann 1988 mit SED-staatlichen Segen produziert, ein aufschlußreiches Porträt eines in Hamburg lebenden alten Waffen-SSlers. Der Film, der in der DDR in ausverkauften Kinos lief, macht haarscharf deutlich, daß, wie das 'Neue Deutschland‘ 1988 schrieb, „waschechte Faschisten“ wie Kamerad Krüger „es alle in der BRD zu etwas gebracht haben“, und daß diese Leute sogar eine üppige Rente beziehen. Es fragt sich eben nur, wie sehr dieser bundesdeutsche und allerdings skandalöse Umstand ablenken sollte von den neofaschistischen Tendenzen im eigenen Land: 1988 gab es in der DDR bereits etwa 1.000 organisierte Neofaschisten, die man, da nicht sein kann, was nicht sein darf, politisch zu bloßen „Rowdies und Asozialen“ depotenzierte (vgl. taz, 7.1.90). Solange der Faschismus als bloße Variante kapitalistischer Gesellschaftssysteme wahrgenommen wird, solange bleiben die Augen fest geschlossen gegenüber faschistischen Potentialen im Sozialismus. Daß ausgerechnet die Filmemacher Heynowsky und Scheumann an diesem Abend fehlten, war vielleicht kein Zufall.
Wenn Kamerad Krüger auch symptomatisch sein mag für die Verdrängung der Frage nach dem Faschismus in der DDR, so handelt es sich dennoch um einen äußerst sehenswerten Film. Diesen alten Mann mit massig hängendem Doppelkinn ungebrochen vor sich hin schwadronieren zu sehen, ist durchaus erschreckend. Krüger, tatkräftiges Mitglied der SS -Folgeorganisation HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit), gibt da zum Beispiel vor der Kamera zum besten, daß er sich und seine Kameraden immer noch als „die Elite des deutschen Vaterlandes“ begreift und zwar wegen „unserer sauberen und klaren Einstellung und Durchführung unserer demokratischen Gesinnung“. Der „Komplex
Konzentrationslager“
„Einstellung“, „Durchführung“ - und zwar alles „ganz zackig, sauber, ordentlich“ - seinen militärisch-bürokratischen Sprachgebrauch („Ich habe drei Berührungspunkte mit dem 'Komplex Konzentrationslager‘ gehabt“) konterkariert Krüger immer dann mit jovialen bis kitschigen Äußerungen, wenn er von Privatem spricht: Von dem Zusammenschluß seiner ehemaligen Kameraden in der HIAG („Der Zusammenhalt ist innig“) erzählt er zum Beispiel, daß sie dort mit ihren Damen „hübsche Fahrten machen in Gegegenden, wo's hübsch ist“. Auch gesteht er, daß er jetzt im Alter immer mal wieder versuche, in seine alte Uniformjacke zu schlüpfen, allein, sie paßt nicht mehr: „So ein schlanker, zäher Hund war ich damals.“
Den letzten der „drei Berührungspunkte“ mit dem „Komplex Konzentrationslager“ hatte Krüger bei Kriegsende, als er sich mit seiner Division „Hitlerjugend“ in der Nähe des KZ Mauthausen den Amerikanern ergab. Noch bewaffnet, zogen sie in Gefangenschaft. Lachend erzählt er dann, wie sie ihnen entgegenkommende, befreite KZ-Häftlinge mit Panzern von der Straße gezwungen haben.
Auf seine Autoritätsfixiertheit, seinen unbedingten Gehorsam dem Führer gegenüber ist Krüger bis heute stolz. Hätte Hitler ihm die Hinrichtung der Patrioten des 20.Juli 1944 befohlen, der damalige SS-Offizier Krüger hätte geantwortet: „Jawohl, mein Führer! Das geht in Ordnung!“ Seine Stimme verrät Bedauern, nicht für diese Aufgabe erwählt worden zu sein. „Hätte jeden, der was anderes befiehlt, an die Wand gestellt.“
„Alles klar?“ Mit dieser eher unbewußt gebrauchten Formel schließt Krüger immer wieder seine Erzählungen ab, wie, um sich sein simples und undifferenziertes Weltbild suggestiv zu bestätigen. „Totschlag im Affekt“
Alles klar, keine Fragen - daß dieser, mit militärisch bis jovial-naiven Sprachgesten verbrämte, dumpfe Brutalismus nicht nur das Problem alter Männer ist und mit diesen eines Tages aussterben könnte, zeigte der im Anschluß aufgeführte Film von Andrea Morgenthaler: Roger Bornemann - Tod eines Skinheads. In ruhigen und sorgfältig aufgenommenen Gesprächen mit zwei Schulfreundinnen von Roger Bornemann, seinen Sozialbetreuern, seinen Lehrern, mit seinem Vater und einigen Skinheads rekonstruiert Morgenthaler das Leben des 17jährigen Skinheads Roger, der 1987 auf einem Hannoveraner Spielplatz von seinen rechtsradikalen Kameraden „platt gemacht“, so der Jargon, also viehisch erschlagen und zertreten worden ist.
Kurz vor seinem Tod hatte der schmächtige Roger, der seit seinem 14. Lebensjahr immer mehr in das neonazistische und kriminelle Milieu geglitten war, eine umfassende Aussage bei der Polizei gemacht. „Totschlag im Affekt“, so lautete das gerichtliche Urteil über seine vier Mörder, ein Urteil, das die politische Dimension dieser Tragödie ebenso verschweigt wie die bislang in der DDR übliche Klassifizierung Rechtsradikaler in „Rowdies“ und „Asoziale“.
In den Gesprächen, die Andrea Morgenthaler mit den früher mit Bornemann befreundeten Skinheads führte, überrascht die Bereitwilligkeit, mit der die Skins von sich und ihrer Geschichte erzählen. Ausländerhaß und die Formel: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ sind wiederkehrende Stereotypen und Erklärungsmuster für ihr Engagement in rechtsradikalen Gruppierungen, die sich durch stark ausgeprägte hierarchische Strukturen und militärisch -männliches Gehabe auszeichnen. „In Bezug auf die Skins war es wahrscheinlich von Vorteil, daß ich eine Frau bin“, sagte Morgenthaler in der anschließenden Diskussion. „Frauen gelten bei denen nichts, die fallen sowieso raus. Mit einem männlichen Filmemacher wären Konflikte am Ende möglicherweise körperlich ausgetragen worden.“ „Die sind doch nicht normal...“
Anders als bei der DDR-Produktion Kamerad Krüger steht in Morgenthalers Film der sozial-biographische Akzent im Vordergrund. Bis zur Unerträglichkeit sind die Schilderungen von Rogers Vater und die Kommentare des Streetworkers durchsetzt mit der Kühle sozialtechnologischen Vokabulars: Von „langen Fehlzeiten“ ist da die Rede, von Freizeitverhalten, Akzeptanz und Verhaltensproblematik „Ist's die Gesellschaft, ist's die Familie?“ war dann auch eine der alten, klassischen Fragen, die in der Diskussion im JoJo-Club gleich zu Anfang gestellt wurde. Und: „Wie soll man mit diesen Leuten umgehen, die sind doch nicht normal.“
Daß Ausgrenzung von Skins und Neonazis kein Weg ist, und daß am Ende der Rechts- vom Linksradikalismus gar nicht so weit entfernt sei, meinte ein augenscheinlich Alt-68er aus West-Berlin. Der Spruch, der sowohl bei ihnen damals als auch bei den Rechtsradikalen nach politischen Aktionen angesagt war, sei doch: „Die Stimmung war gut!“ Die Faszination am Tod
Inwiefern sich linker Aktionismus eher gegen Sachen, rechter eher gegen Menschen richtet, war dabei kein Diskussionspunkt. Derartige vorschnelle und undifferenzierte Parallelisierungen, die in rechten Historikerkreisen gang und gäbe sind, scheinen mir suspekt. Es gibt neonfaschistische Aktionsformen, die in der linken Tradition keinerlei Entsprechung finden, wie zum Beispiel die sich in letzter Zeit auch in Berlin wieder häufenden Friedhofsschändungen. Der Shoah-Regisseur Claude Lanzmann hat jetzt im Zusammenhang mit den Grabschändungen im französischen Carpentras gesagt, daß der symbolische Akt einer Friedhofsschändung eine Weise sei, „die Toten noch einmal zu töten, aus Wut, die Lebenden nicht umbringen zu können“ (vgl. taz, 16.5.90).
Diese spezifisch neonazistische und antisemitische „Aktionsform“ scheint mir auch inspiriert zu sein von einer auf Ursprungsmythen und Totenkult basierenden, faschistischen Ideologie. Wo, wie nicht zuletzt im Nationalsozialismus, Kitsch und Todesfaszination und Opferbereitschaft eine ideologische Allianz eingehen, ist der Umgang mit Grabstätten von eminent politischer Bedeutung. Im Akt der Verwüstung von Gräbern ist daher - nur eben umgekehrt - jene Faszinationskraft wirksam, die sich im Nationalsozialismus in den Tod symbolisierenden Emblemen manifestierte, zum Beispiel in den Totenkopfringen der SS. Herstellen von Identität
Letztlich ist auch die Formel: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ ein Ausdruck ursprungsmythischen Denkens. Wo der einzelne an den alltäglichen Kompliziertheiten zu scheitern droht, wird eine ursprungsmythische Größe wie des „deutschen Vaterlandes“ als Garant für Identität in Anspruch genommen. Viele Leute in der DDR, meinte ein Diskussionsteilnehmer, „haben jetzt nichts mehr, worauf sie stolz sein können“. Die Identifikation mit Deutschland, mit Volk, Boden und Geschichte bietet sich hier als Strategie der Selbstaufwertung an, eine Strategie, die sich übrigens sowohl im Denken eines „Kameraden Krüger“ als auch in dem der Freunde von Roger Bornemann manifestiert. Dieser Aspekt des Neofaschismus scheint tatsächlich ein „gesamtdeutscher“ zu sein.
Darüber hinaus ist der zunehmende Rechtsradikalismus in der DDR durch ganz DDR-spezifische politische und psychische Dispositionen bedingt. Da man in der DDR Faschismus als ein rein ökonomisch bedingtes Phänomen betrachtet hat und die ethischen, antisemitischen und psychologischen Aspekte weitgehend außer Acht ließ, hat die Volksbildung gegenüber den möglichen neofaschistischen Sehnsüchten ihrer Bürger versagt.
Andererseits scheinen dort, wo Antifaschismus staatlich verordnet war, neofaschistische Parolen und Aktionen gerade für Jugendliche ein geeignetes Vehikel, um ihre Autoritäts und Generationskonflikte auszutragen. Autoritäre Denkstrukturen, wie sie in der DDR ohnehin eingeübt wurden, berufliche Chancenlosigkeit und die Angst vieler Jugendlicher vor der Zukunft sind sicher weitere Gründe.
Die DDR-Filme Unsere Kinder von Roland Steiner und Im traurigen Monat November, beide aus dem Jahr 1989, die heute bzw. am nächsten Montag zu sehen sind, werden auf Herkunft und Phänomene des Neofaschismus in der DDR weiter eingehen.
Insa Eschebach
Filmreihe gegen Neofaschismus im JoJo-Club, Wilhelm -Pieckstr. 216 in 1054 Berlin. Heute, 20 Uhr: „Nicht mit uns - Gemeinsam gegen Neonazis“, W. Becker, BRD 1987/88. Gegen 21 Uhr: „Schönhuber und die Republikaner“, BRD 1989. Gegen 21 Uhr 30 „Unsere Kinder“, R. Steiner, DDR 1989. Montag, 28.5., 20 Uhr: „Im traurigen Monat November“, ELF 99, DDR 1989. Gegen 21 Uhr 30 Uhr: „Unser Programm heißt Deutschland“, Medienwerkstatt Franken, BRD 1990.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen