Kein Dialog zwischen ETA und Spaniens Regierung

Die Festnahme eines fliegenden Kommandos ist ein harter Schlag für die ETA / Die Mitglieder des Kommandos waren Franzosen / Druck auf die französische Regierung, die ETA-Bekämpfung zu verstärken / Die ETA reagiert mit Anschlägen / Bevorstehende Regionalwahlen im Baskenland erschweren die Wiederaufnahme des politischen Dialogs  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Sevilla, zwei Jahre vor der Weltausstellung. Die Guardia Civil übt den Sicherheitsplan, der für das große Ereignis ausgearbeitet worden ist. Doch bei einer Straßensperre im Örtchen Santiponce will ein Autofahrer nicht mitspielen. Er rast an den kelleschwingenden Zivilgardisten vorbei, die schießen auf das Auto, der Fahrer flüchtet zu Fuß weiter und wird festgenommen. Das Auto enthält 300 Kilogramm des Sprengstoffs Amonal, doch brisanter noch als dieser Fund erweist sich die Festnahme des flüchtigen Fahrers. Es ist der 32jährige Franzose Henri Parot, der vor dem Untersuchungsrichter angibt, Mitglied eines fliegenden Kommandos der baskischen Untergrundorganisation ETA zu sein.

Angeblich aufgrund seiner zahlreichen und detaillierten Aussagen werden in den folgenden Tagen bei Razzien in den französischen Städtchen Bayonne und St. Jean-de-Luz sechzehn Personen wegen Terrorismusverdachts festgenommen. Gegen neun von ihnen wird Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben. Eine gute Woche später ergreift die französische Polizei den angeblichen ETA-Führer Isidro Garalde „Mamarru“ und den Etarra Eloy Uriarte „Senor Robles„; abermals eine Woche später, am 26. April, beginnt in Paris der Prozeß gegen drei der Festgenommenen.

Es ist nicht irgendein ETA-Kommando, dessen die Behörden im April habhaft wurden. Nach Angaben der spanischen Polizei gehen auf das Konto dieser Gruppe, die 1978 unter Anleitung des inzwischen toten ETA-Führers Domingo Iturbe Abasolo „Txomin“ entstand, die blutigsten Anschläge der Untergrundorganisation in den letzten Jahren: der Anschlag auf eine Kaserne der Guardia Civil in Saragossa im Dezember 1987, dem elf Menschen, darunter fünf Kinder, zum Opfer fielen, zwei Anschläge auf die Generaldirektion der Guardia Civil in Madrid, 1987 und 1988, bei denen drei Menschen, darunter ein Kind, umkamen, das Attentat auf die Staatsanwältin Carmen Tagle im September vergangenen Jahres in Madrid, sowie Anschläge auf mehrere Generäle.

Nach polizeilichen Angaben wollte Henri Parot gemeinsam mit zwei in Frankreich festgenommenen Etarras in Sevilla die Obere Polizeidirektion in die Luft sprengen. Die eigentliche Überraschung bedeutete für die Behörden jedoch die Zusammensetzung des Kommandos: Alle acht Personen, die seit der Gründung 1987 dem fliegenden Kommando angehört haben sollen, sind französische Staatsbürger, und noch dazu den „Ordnungskräften“ unbekannt. Sie lebten unauffällig im französischen Baskenland, gingen ihrer Arbeit nach, und wenn ein Anschlag anstand, überquerten sie, ohne je Verdacht zu erregen, die Grenze nach Spanien. Sie bewegten sich in Leihwagen durchs Land, übernachteten in Drei-Sterne-Hotels, wo sie sich als Geschäftsleute ausgaben, und kehrten nach dem jeweiligen Attentat wieder nach Hause zurück.

Die Festnahme französischer Etarras hat in Spanien Häme und eine gewisse Befriedigung ausgelöst.

Daß die französische Regierung den bewaffneten Kampf der ETA bislang als innerspanische Angelegenheit betrachtet und der spanischen Regierung eine politische Lösung angeraten hat, ist Madrid schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Da nun zum ersten Mal eine direkte Beteiligung französischer Staatsbürger an ETA-Attentaten sicher scheint, hofft das spanische Innenministerium auf verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit mit den nördlichen Nachbarn. Auf juristischer Ebene scheint sie bereits vorzüglich zu funktionieren: der französische „Terrorismusrichter“ Gilles Boulouque reiste im April nach Madrid, um dort Henri Parot zu verhören, und spanische Antiterrorismusspezialisten sollen bei den Verhören der in Frankreich Festgenommenen zugegen gewesen sein.

Das fliegende Kommando des Henri Parot war angeblich nicht nur der Polizei unbekannt, sondern auch einem Großteil der Etarras selbst. 1978 waren die Kommandomitglieder vom damaligen ETA-Führer „Txomin“ angeheuert und vom jetzt festgenommenen „Mamarru“ im Umgang mit Waffen und Sprengstoff ausgebildet worden. Als Txomin 1985 nach Algerien ausgewiesen wurde, übernahm der ETA-Führer Francisco Mugica, „Artapalo“, nach dem die französische Polizei zur Zeit fahndet, die Leitung des Kommandos. Die spanische Presse spekuliert in diesen Tagen, daß Artapalo nach dem Scheitern der Gespräche zwischen der ETA und der spanischen Regierung im Frühjahr 1989 in Algerien das Kommando benutzt haben könnte, um durch Anschläge eine erneute Verhandlungsrunde zu sabotieren.

Die Reaktion der ETA auf die Zerschlagung des Kommandos ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. April, zwei Tage nach der Festnahme Parots in Sevilla, wurde in der Nähe von San Sebastian ein Koch der Guardia Civil erschossen, zwei Tage darauf griff die ETA eine Kaserne der Guardia Civil in der Provinz Navarra an; in San Sebastian wurde ein Ehepaar erschossen, das angeblich mit Drogen handelte, eine Briefbombe riß einer Angestellten der Weltausstellung in Sevilla eine Hand ab, und am 24. wurde ein Pförtner im Knast Carabanchel in Madrid ebenfalls durch eine Briefbombe schwer verletzt. Die ETA bekannte sich in einem Kommunique zu den Anschlägen und kündigte an, daß auch die Weltausstellung 1992 in Sevilla Ziel ihrer Anschläge sein werde. „Gezielte“ Aktionen wurden den Mitgliedern des Gefängnispersonals angedroht, die sich durch aggressives Verhalten gegenüber den baskischen politischen Gefangenen auszeichneten. „Alle Kampffronten sind offen“, heißt es in dem Kommunique.

Der Kampffronten sind viele, nach innen wie nach außen. Die Ertzaintza zum Beispiel, die baskische Polizei, die zunehmend die Funktionen der spanischen Polizei übernimmt (eine der Forderungen der ETA) entwickelt sich dadurch nach Ansicht der Gruppe zu einem Repressionsinstrument wie die „Sicherheitskräfte des Staates“ - eine kaum verhüllte Drohung, die im Baskenland zu einer Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen der Ertzaintza geführt hat. Auch auf die Gefangenen der ETA, die ewigen Märtyrer für die gerechte Sache, scheint kein völliger Verlaß mehr zu sein: Neun Etarras wurden kürzlich begnadigt, angeblich auf eigenes Ersuchen, was sie jedoch nach ihrer Freilassung öffentlich dementierten. Ein gefangener Etarra, der ohne Genehmigung seiner Organisation in den offenen Vollzug kam, wurde nach Angaben aus dem Justizministerium aus dem Gefangenenkollektiv ausgeschlossen - ein Versuch, die Disziplin der Gefangenen aufrechtzuerhalten. Bereits als vor einem Jahr die Gespräche mit der Regierung in Algerien gescheitert waren, hatten Vertreter der baskischen Parteien gegenüber der taz darauf hingewiesen, daß damit den Gefangenen die Perspektive genommen sei, in absehbarer Zeit durch eine Amnestie aus dem Knast zu kommen und daß nun die Gnadengesuche zunehmen würden.

Auch in anderer Hinsicht wird die ETA in die Enge getrieben: Seit einem halben Jahr ist Joseba Urkijo, „Kinito“, verschwunden. „Kinito“ war Leitungsmitglied der der ETA nahestehenden Parteienkoalition Herri Batasuna. Im vergangenen Frühling war bekannt geworden, daß er als Polizeispitzel gedient hatte. Zuletzt soll er im September vergangenen Jahres bei einem Gespräch mit dem ETA-Führer Artapalo gesehen worden sein, seither fehlt jede Spur von ihm. Die Spur eines weiteren Verschwundenen suchen dessen Familienangehörigen: Eduardo Moreno Bergareche, „Pertur“, Führer der inzwischen aufgelösten ETA-politico-militar, verschwand vor 14 Jahren, angeblich ebenfalls nach einem Gespräch mit Artapalo. Seine Familie fordert nun eine Wiederaufnahme der Untersuchung.

Anschläge, Repression, Anschläge - ein Ende dieser Spirale ist nicht in Sicht. Doch die ETA gerät dabei in Nachteil. Schweigemärsche „für den Frieden“ im Baskenland werden häufiger, die Zentralregierung kommt den Autonomieforderungen der bürgerlichen nationalistischen Parteien in manchen Punkten entgegen und stärkt andererseits die polizeiliche Zusammenarbeit.

Im Herbst sind Regionalwahlen im Baskenland. Erneute Verhandlungen mit der ETA, durchaus im Interesse der Zentralregierung, werden auf den erbitterten Widerstand der dortigen Parteien stoßen, denn sie würden eine Aufwertung von Herri Batasuna bedeuten. Also weiter im Hamsterrad.