: Im Westen nichts Neues
■ Überkommene strategische Erwägungen diktieren nach wie vor die Abrüstungsverhandlungen
Zu Euphorie besteht kein Anlaß. Zwar können Bush und Gorbatschow nächste Woche in Washington nun doch noch ein Chemiewaffenabkommen und eine Rahmenvereinbarung für einen START-Vertrag unterschreiben. Doch die Substanz ist dünn: die START-Einigung wurde nur möglich durch Ausklammerungen, ein künftiger Vertrag läßt 85 Prozent der strategischen Arsenale unberührt und ihre „Modernisierung“ zu. Mit dem C -Waffenabkommen schaffen die beiden Großmächte zwar 80 Prozent ihrer Altvorräte aus der Welt. Sie wären - wenn überhaupt - ohnehin nur noch unter erheblicher Gefährdung der eigenen Soldaten und Bevölkerung einsetzbar. Doch das schon bestehende - militärisch einzig relevante Binärwaffenarsenal der USA bleibt verschont. Im besten Fall wird der weitere Ausbau gestoppt - je nachdem, wieviel der geplanten rund 700 Tonnen bereits hergestellt sind und wann genau der jetzt vereinbarte Produktionsstopp erfolgt. Das Binärwaffenprogramm wird von Washington schon lange nicht mehr mit einer sowjetischen Gefahr in Europa, sondern mit „Bedrohungen der US-Interessen in der Dritten Welt“ begründet. Daher dürfte die Moskauer Vereinbarung nicht die gewünschte positive Signalwirkung auf die multilateralen Genfer Verhandlungen haben und „Drittweltstaaten“ zur Aufgabe eigener C-Waffenoptionen bewegen. Zumal die beiden Großmächte eine restlose Vernichtung ihrer C-Waffen nicht innerhalb der im bisherigen multilateralen Genfer Vertragsentwurf vereinbarten Fristen, sondern nach Erfüllung von ihnen definierter politischer Bedingungen vornehmen wollen - eine Formel, gegen die sich Moskau lange gesträubt hatte. Über die für Hauptstreitpunkte bei den für die politische Lage in Europa und die „deutsche“ Frage viel bedeutsameren Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte konnten sich Baker und seine sowjetischen Gesprächspartner nicht einigen. Dennoch werden die in Moskau erzielten Ergebnisse den Washingtoner Gipfel in besserem Licht erscheinen lassen, haben ihn „gerettet“ und sein „Scheitern verhindert“, wie US-Kommentatoren gestern sogar schrieben. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß vor allem im Westen alte militärische Kategorien nach wie vor wesentlich die Realpolitik bestimmen - trotz politischer Entspannung im immerhin fünften Jahr nach Gorbatschows Amtsantritt.
Andreas Zumach
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