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Die SPD-West beim Staatsvertrag zerstritten

■ Kanzlerkandidat Lafontaine gegen, Parteichef Vogel für Zustimmung zum Staatsvertrag / Sozialdemokraten verlangen Nachbesserungen bei dem Vertragswerk / SPD-Abgeordneter prophezeit Chaos in der DDR und fordert Zuzugssperre für DDR-BürgerInnen

Berlin (dpa/ap/taz) - Die SPD ist in der Frage, ob sie im Bundestag und vor allem im Bundesrat dem Staatsvertrag zustimmen soll, zerstritten. Der designierte Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine hat offenbar schwere Bedenken und fürchtet, die SPD könne mitverantwortlich gemacht werden für einen „Crash“ der DDR-Wirtschaft und schwere soziale Erschütterungen, die durch die Wirtschafts- und Währungsunion ausgelöst werden. Der Parteivorsitzende Vogel dagegen fürchtet, daß die SPD als Bremser des Einheitsprozesses in eine wahltaktisch ungünstige Position geraten könnten.

Am Samstag morgen hatten sich Lafontaine und Vogel ein zweites Mal in Saarbrücken getroffen, diesmal im Beisein des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau, der Lafontaine unterstützte. Eine endgültige Klärung konnte dabei offenbar noch nicht erreicht werden. Am heutigen Montag wollen die SPD-regierten Länder eine gemeinsame Entschließung erarbeiten, in der umfangreiche Nachbesserungen gefordert werden. Im einzelnen soll nach Informationen des Kölner 'Express‘ verlangt werden, daß für eine Übergangszeit Schutzbestimmungen für DDR-Produkte und Übergangsfristen für DDR-Betriebe, die grundsätzlich überlebensfähig scheinen, in Kraft gesetzt werden. Weiterhin sollen die Länder in dem gemeinsamen Regierungsausschuß der beiden deutschen Staaten paritätisch vertreten sein. Gefordert wird außerdem eine Ergänzung der „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ durch eine „Umweltunion“. Und schließlich sollen zusätzliche Gelder im Staatshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Wie die SPD-regierten Länder letztlich im Bundesrat, wo sie eine Verabschiedung des Staatsvertrages zumindest verzögern könnten, abstimmen werden, ist damit noch keineswegs klar.

Die Stellungnahmen der einzelnen Landesregierungen waren nicht einheitlich. Der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Wolfgang Clement, erklärte in einem Interview, der Staatsvertrag sei „so nicht akzeptabel“. Der künftige niedersächsische Regierungschef Gerhard Schröder, sagte auf einem Parteitag der hessischen SPD am Samstag: „Wir sind für die Einheit, aber deshalb sind wir noch lange nicht für diesen Staatsvertrag.“ Der Bezirksparteitag Hessen -Süd verabschiedete eine Entschließung, in der die SPD -Bundestagsfraktion aufgefordert wird, dem „Staatsvertrag in seiner vorliegenden Form... nicht zuzustimmen“. Ganz anders Berlins Regierender Bürgermeister, Walter Momper: Er plädierte dafür, daß man „trotz dieser außerordentlich knappen Zeiträume den Staatsvertrag passieren läßt“. Henning Vorscherau, Hamburgs Regierender, schließlich erklärte, die Vertreter seines Landes im Bundesrat würden sich - wie in der SPD/FDP-Koalition für Dissens-Fälle vereinbart enthalten.

Die schärfste Kritik wurde vom Bundestagsabgeordneten Andreas von Bülow formuliert. Er kündigte an, daß er dem „unverantwortlichen Staatsvertrag“ nicht zustimmen werde. Seine Verwirklichung werde in der DDR zu „Chaos, Massenarbeitslosigkeit, Stillstand der DDR-Wirtschaft, Pleite des Staates und Massenarmut“ führen. Als Beitrag, um diesen Zusammenbruch zu verhindern, forderte der SPD -Politiker eine fünfjährige Zuzugssperre für DDR-Bürger, dabei müsse die unbegrenzte Reisefreiheit aber beibehalten werden.

Ws

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