: Waldgebiet unfreiwillig von Industrie gedüngt
Dübner Heide, das letzte große geschlossene Waldgebiet im mitteldeutschen Industrieraum, kämpft ums Überleben Braunkohlebagger wühlen sich immer tiefer ins lebenswichtige Erholungsgebiet / „Dübener Heide e. V.“ gegründet ■ von Martina Döring
Die Dübener Heide findet man nicht in überregionalen Touristenführern angepriesen, schon die Lagebeschreibung läßt an alles andere denken, denn an lauschige Waldeswinkel oder gar Erholung. An ihrem Rande liegen solche Städte wie Leipzig, Halle, Bitterfeld und Wittenberg. Selbst wer noch nicht das Unglück hatte, deren Bekanntschaft zu machen, assoziiert dabei Ruß und Dreck, Schadstoffe in der Luft und im Wasser in einer in Europa wohl höchsten Konzentration. Dennoch - trotz dieser üblen Nachbarschaft hat die Dübener Heide, das mit 36.000 Hektar letzte große geschlossene Waldgebiet im mitteldeutschen Industrieraum, ihre Reize.
Im Sommer fahren durchschnittlich pro Wochenende 20.000 umweltgeschädigte Menschen in dieses einzige, mit vernünftigem Zeitaufwand erreichbare Erholungsgebiet - von Sommerfrische allerdings läßt sich kaum sprechen, will man sich nicht den Vorwurf des Zynismus einhandeln.
Ein mittleres Wunder jedoch ist, daß die Dübener Heide nicht den Anblick des Waldes bietet wie zum Beispiel in Teilen des Erzgebirges, also nackt und bloß und seiner Nadeln beraubt wie nach einem flächendeckenden Großbrand. Denn natürlich hat auch der Baumbestand der Dübener Heide die Grenzen seiner Fähigkeit, Schadstoffe zu schlucken, ohne daran zu Grunde gehen zu müssen, längst erreicht. „72 Prozent der Bäume sind geschädigt“, so die Einschätzung des Direktors des „Forstbetriebes Dübener Heide“, Siegfried Austinat. Hauptverursacher der Umweltverschmutzung in dieser Gegend ist neben der Chemie die Kohle als Energieträger Nummer eins für alle Großbetriebe. Das bei der Verbrennung von Kohle entstehende Kalziumkarbonat, der Kalkstaub und das Schwefeldioxid verbinden sich zu Kalziumsulfat, also Gips. Dieser lagerte sich über Jahre ab, ohne sichtbare Wirkungen zu hinterlassen. Erst als Anfang der 60er Jahre die Baumbestände überprüft wurden, stellten die Forstleute fest, daß ihr Wald fast tot war, immerhin waren 80 Prozent der Kieferbestände und 20 Prozent der Laubbäume gefährdet.
1963 dann wurde vom Forstbetrieb das erste Verfahren gegen die Industrie angestrengt, die sich fortan an Maßnahmen zur „Schadensminimierung“ finanziell zu beteiligen hatte. Von einer Sen kung des Schadstoffausstoßes war damals und erst recht später nicht die Rede. „Um dies gegen die Betriebsleitung und die Planvorgaben der Chemie-Werke, also letztlich gegen den Staat zu erzwingen, reichte unsere Kraft nicht“, gibt Austinat seine Ohnmacht zu. „So wurden die Abgaben der Industrie, so makaber das klingt, zu festen Einnahmeposten in unserer Haushaltsrechnung.“
Die Wege, die der Forstbetrieb eigenmächtig und auf sich allein gestellt beschritt, um den Wald zu retten beziehungsweise den Versuch zu unternehmen, klingen zwar etwas hilflos, aber letztlich zeigte sich, daß die Maßnahmen griffen: So wurden alle drei Jahre die Waldflächen mit Stickstoff gedüngt, und unter 40 bis 50jährige Kiefern Laubbäume gepflanzt, um die Zusammensetzung der „Kunstforste“ und deren Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.
Laubbäume reichern die Schadstoffe nicht in dem Maße an wie Nadelbäume, da sie ihre Blätter jedes Jahr abwerfen. Der Wald blieb also grün - bis auf den heutigen Tag.
Die zusätzliche Stickstoffdüngung ist aber mittlerweile überflüssig geworden, übernimmt dies doch das bei Wittenberg gelegene Stickstoffwerk Piesteritz.
Unfreiwillig. Die Staubwolken, die der Wind vom Werk wegtreibt, sind der reinste Dünger und hinzu kommt noch der „Segen“ aus der mit der Chemie recht großzügig umgehenden Landwirtschaft.
Direktor Austinat schätzt den Zustand seines Waldes heute als ernst, aber nicht hoffnungslos ein, ist sich aber darüber im klaren, daß auf Dauer der Wald nur durch eine radikale Schadstoffminderung um mindestens 50 Prozent gerettet werden kann. Bürgerprotest und Aktionen von Umweltschutzgruppen haben erzwungen, daß die gefährlichsten Umweltsünder des Chemiekombinates Bitterfeld ihre Produktion einstellen mußten.
Die Schadstoffe stellen aber nicht die einzige Gefahr für das Waldgebiet dar. Es gibt eine weitere, weit größere, bei der es nicht um langsam absterbende Bäume, sondern um die Existenz der Dübener Heide schlechthin geht. Mittlerweile ist es nämlich fast gleich, von welcher Seite man sich dem Wald nähert - an vielen Stellen klaffen riesige Löcher, wühlen sich Bagger ins Erdreich.
Unter der Dübener Heide lagert - in zwar schlechter Qualität aber dafür in Mengen - Braunkohle. Nach den bisherigen Plänen werden demnächst noch 600 Hektar den Tagebauen weichen. Erkundungen weiterer Abbaugebiete haben schon die Zentralgebiete der Dübener Heide erfaßt und bedrohen damit ihre reizvollsten Ecken.
Diese Erkundungen wurden jetzt - ebenfalls auf Druck von Bürgerinitiativen - eingestellt. Doch da der Aufschluß neuer Abbaugebiete schon Jahre zuvor beginnt, sind die Folgen der bereits eingeleiteten Vorbereitungen noch nicht abzusehen.
Die schon vorgenommene Grundwasserabsenkung bedroht damit die Bäume, auch wenn keine Holzfällerkommandos und Planierraupen anrücken. Bäche sind schon versiegt, Teiche ausgetrocknet, das Landschaftsschutzgebiet des Hochmoores bei Jösigk in Gefahr.
Die Pläne des Braunkohlenkombinates Bitterfeld bis zum Jahr 2000 waren Austinat bekannt, ihre Durchsetzung hätte er als Förster wohl kaum verhindern können. Ohne die gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Land wäre „sein“ mit Mühe erhaltener Wald denn letztlich doch buchstäblich in die Grube gefahren.
Jetzt ist der Aufschluß weiterer Gruben gestoppt, Vertreter des BKK nicht zu sprechen. Das zuständige Ministerium sicherte zu, die Energiekonzeption landesweit zu überarbeiten. Berechtigt ist damit die Hoffnung, daß das größte geschlossene Waldgebiet im mitteldeutschen Industrieraum das größte bleibt.
Inzwischen aber hat der Direktor des Forstbetriebes etwas am Hals, das zwar erst im Ansatz ein Problem ist, aber mit Sicherheit ein großes wird.
Er und seine Mitarbeiter sind für den Wald nicht nur unter forstwirtschaftlichen Aspekten verantwortich, sondern auch für dessen Nutzung zu Erholungszwecken. Der Deutsche liebt das Grüne, das ist nichts Neues, aber nicht, um darin vorwiegend zu wandern, sondern sich ein Häusle zu bauen. Austinat aber reichen die bereits existierenden rund 2.000 Datschen, die sich - sanktioniert von Gemeinde- und Stadträten - hier breit gemacht haben. Die Folgen dieses Siedlungsbetriebs des deutschen Laubenpiepers: erhöhte und ständige Brandgefahr, Verstümmelung der Landschaft, Zäune grenzenlos und Abfall zu Hauf.
Inzwischen hat auch das Grundstücks- und Spekulantenwesen die Dübener Heide entdeckt. Da reichen die Anfragen vom Wunsch nach dem Kauf eines ehemaligen Stasi-Objektes über verfallene Rasthäuser, die man zu Hotelkomplexen ausbauen möchte bis hin zu der Bitte, eine Imbißbude aufstellen zu dürfen. Mit diesen Problemen nun wandte sich Austinat schon Anfang Januar an Bürger, die Umweltschutzgruppen und Betriebe, auch an das Braunkohlekombinat.
Sie bat er alle an einen „Grünen Tisch“, der im Februar in Bad Düben stattfand. Danach legten die Teilnehmer ein 12 -Punkte-Programm vor, worin die Forderung nach Offenlegung aller perspektivischen Abbauvorhaben und die Bitte um Hilfe beim Schutz der schon als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesenen Teile der Dübener Heide formuliert wurden. Eine öffentliche Diskussion über die Gestaltung der Bergbaufolgelandschaften mit allen Verantwortlichen wurde angeregt und die Veröffentlichung der Schadstoffbelastungs -Daten im Raum Bitterfeld-Halle verlangt.
Und da Vereinsbildungen in deutschen Landen fröhlich Auferstehung feiern und jeder darin die beste Möglichkeit sieht, der Sache zu nutzen, wurde der „Dübener Heide e.V.“ ins Leben gerufen. Praktisch wirksam werden wollen seine Mitglieder mit Initiativen zur Rettung, Pflege und Nutzung der Dübener Heide, für eine touristische Erschließung unter Beachtung der Interessen des Natur- und Umweltschutzes, der kommunalen Belange und zur Verhinderung der Landschaftszersiedlung. Vielleicht wird es also doch noch etwas, mit der Erwähnung in einem überregionalen Touristenführer. Aber eigentlich sollte man das der Dübener Heide gar nicht wünschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen