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Flackerblicke und Stoßwellen: Die leere Welt

■ „Shocker“, der neue Horrorfilm von Wes Craven, ist angelaufen / Sanftmütig schocktherapeutisch

Wir müssen uns nie wirklich sorgen. Wir haben Likör und zweckmäßiges Gerät. Wenn, sagen wir mal, in unseren Nieren und Gallen das, sagen wir mal, Unaussprechliche versteinert, so ist das zum Lachen: seit Jahren stehen gnädige Maschinen bereit, an die wir uns anschließen, und alles zerfällt, unter Stoßwellen von Ultraschall.

Im Kino läuft jetzt „Shocker“, der neue Schocker von Wes Craven, dem Regisseur von „Nightmare on Elm Street“. „Shocker“ ist, immerhin, gerade gut genug, uns vorzuführen, daß auch die chirurgische Technologie des Genrefilms mittlerweile ausgereift ist. In „Shocker“ zerfällt, unter den sanften, wohldosierten Attacken von Schock-Wellen, die zu Problemen versteinerte Unruhe, die Ratlosigkeit einer ganzen Generation. Dickicht

Schon die ersten Bilder ziehen uns in ein elektronisches Dickicht. Wirr verschlungene Drähte, wuchernde bunte Kabelstränge, Module im Dämmer, dazwischen ta

stet die Spitze eines Lötkolbens; dampfend schmilzt Zinn, Funken zucken, der Dschungel ist aufgeladen mit Gefahr, mit Elektrizität, mit knisternder Kälte. Blau flimmert es, Bildschirme zeigen Bilder von Krieg, Verwüstung und Straßenkampf. Alles ist nah, groß und von allem abgeschnitten. Wir finden uns nicht zurecht und fürchten uns.

Ein unsäglich Böser meuchelt in der Stadt, er macht es entsetzlich und ist doch eine Kunstfigur, man könnte sagen: das chirurgische Instrument des Films. Er schickt

diese Schockwellen aus. Horace Pinker heißt er, hat eine Reparaturwerkstatt für Fernsehgeräte, ein katakombisches Lager, in dem er tote Bildschirme ins Leben zurückholt und Tiere zu Tode quält, er treibt einen irren Kult um das Fernsehen, und am Ende wird er sich mit dessen Bildern vermischen. Ausgeburt eines Mediums ist er, so dürfen wir argwöhnen, welches den Planeten kolonisiert und zu einem Ort der Unwirklichkeit und der Gewalt gemacht hat.

Pinker ist aber auch, was nicht von ungefähr ziemlich verwirrt,

ein elektrisches Wesen. Den Strom, der ihn auf dem Elektrischen Stuhl durchfährt, den nimmt er unter gräßlichem Stöhnen wie Nahrung zu sich, er verflimmert ins Unirdische und ist nun erst recht mediale Gewalt. Wir dürfen argwöhnen, daß Pinker aufgeladen ist nicht mit simplem Strom, sondern mit der brutalen Hochspannung, die in unseren Städten pulsiert.

Pinker ist das Konzentrat allen unwirklichen, halb begriffenen Thrills. Als solche Halbperson schockiert er in zahllosen Ge

schichten herum, zerrüttelt sie, bis sie, kaum angedeutet, schon wieder zunichte sind: seines jungen Gegenspielers verwickeltes Vaterdrama, dessen sexuelle Initiation, die rauhe Jünglingsbündelei seines Football-Teams; Geschichten über Männerfreundschaft, Leistungsethik und abergläubischen Spiritismus und überhaupt alles, was konfliktmäßig Rang und Namen hatte in den letzten zwanzig Jahren - es wird ausnahmslos angedeutet, kaputtgeschreckt und abgesaugt. Beihilfe

Die Kamera tut natürlich nach Kräften mit und löst die Welt in Flackerblicke auf; und gibt es sonst nichts zu tun, ist es immerhin, als ob sie Schmiere stünde: immer ist sie den Dingen zu nah, starrt gebannt oder glotzt ruhelos. Oft genug kitzelt die Bilderhetze auch zum Kichern. Der Film wirkt gerade, weil er sich ausdrücklich nicht ernst nimmt und immer auch als sein Gegenteil interpretiert werden kann.

Am Ende stürzen in schrecklichen, lustigen Bildern die sozu

sagen wahre Welt und die mediale Fernsehwelt ineinander. Pinker und der junge Jonathan verfolgen einander durch alle Kanäle. Sie erscheinen in Nachrichtenbildern von Guerillakämpfen, sie jagen durch Fernsehshows und tauchen zurück in die Filmkulisse, stürzen sich von dort in die Kußszene eines alten Stummfilms und von da wieder in irgendeinen Krieg. Dort droben

Was ist das Leben angesichts des Schreckens? Alles ist gleich unbedeutend vor ihm. Das ist ein Versprechen auf die heilende Kraft des Adrenalinschubs. Der Film entläßt uns aus nunmehr geordneten Verhältnissen, mit seiner wirklich offenherzigsten Szene: Jonathan blickt auf zum Firmament, wo, wie man weiß, kalte Sternenpracht herrscht, und äußert das Wort schön. Hienieden ist der Thrill und dort das reine, dusselige Nichts. So entleert sich wie von selber die Welt. scha

„Shocker“ läuft im Europa, Bahnhofstr. 39.

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