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Generationskonflikt

■ betr.: Tine Steins "Ihr Altlinken!", taz vom 5.5.90l, LeserInnenbriefe vom 11./15.5.90

betr.: Tine Steins „Ihr Altlinken!“, taz vom 5.5.90, LeserInnenbriefe vom 11./15.5.90

Mit Tine Steins „Brief einer jungen Ökologin“ an die alten Linken und den vielen Leser(Innen - d.sin)briefen dazu kündigen sich wieder einmal stürmische Zeiten für die Grünen und die Ökologiebewegung an, und das ist auch gut so. Denn diesmal geht es um die Frage, was für eine Utopie durch grüne Politik realisiert werden soll. (...) Der Konflikt, der sich hier anbahnt, und der nach der Veröffentlichung des von Tine mitverfaßten Ökologischen Manifestes noch heftiger werden wird, ist unter anderem ein Generationskonflikt.

Die Generation der „jungen Ökologen“, zu der ich mich auch zähle (und zu der sicher auch viele Ökologinnen zählen! d.sin), ist auch dank der „Altlinken 68er“ mit weniger innergesellschaftlichen Konflikten aufgewachsen, dafür aber mit um so mehr Ökokatastrophen. Polarisierungen in der Gesellschaft spielen für uns nicht mehr die Rolle, die die alten und neuen Linken ihnen einräumen (es bestreitet jedoch niemand, daß sie nicht vorhanden sind!). In einer katastrophenreichen Zeit sind wir im vielleicht reichsten Land der Erde groß geworden und haben einen Wohlstand erlebt, wie es ihn in solch breiten Bevölkerungsschichten noch nie gab. Unsere Eltern, ob nun Lehrer oder Fabrikarbeiter (Waren nur die Väter berufstätig? d.sin), fuhren jährlich dickere Autos, und die Wohnungsnot, die uns nun oft daran hindert, an neuen Orten heimisch zu werden, betrifft zwar auch in unseren Augen zuerst Student(Innen d.sin)en, Lehrlinge, Arbeitslose, Ausländer(Innen d.sin) und alle weniger Privilegierten unserer reichen bundesrepublikanischen Klassengesellschaft, aber beim genaueren Hinsehen stellen wir fest, daß die Hauptursache der Wohnungsnot die zunehmende Vereinzelung der Gesellschaft ist (1/3 aller Haushalte sind Singles!). Wir leiden am Zusammenbruch aller sozialen Strukturen dieser reichen Gesellschaft, der sich nicht mehr allein mit dem Verweis auf den Kapitalismus erklären läßt. (...)

Ökologischer und sozialer Zusammenbruch verlaufen parallel und sind ursächlich verwurzelt im westlichen Zivilisationsmodell. Die weltweit kapitalistisch organisierte Ökonomie ist lediglich das zur Zeit effektivste Werkzeug unserer industriealisierten Selbstzerstörung.

Egal, ob aus der bundesrepublikanischen Ober- oder Unterschicht, wir sind die Kinder der globalen Bourgeoisie, und wir wollen Veränderung. Von den verdammten dieser Erde in der Zwei-Drittel-Welt können wir keine Veränderung erhoffen. Als Rohstofflieferant(Innen - d.sin)en für den globalen Indudstriealismus schnürt ihnen unser Reichtum die Luft ab. Da sind nicht nur böse Imperialist(Innen d.sin)en am Werke, sondern vor allem wir mit jedem Einkauf. Die Zwei-Drittel-Welt verhungert, und wir leben ohne Zukunft, da ist mehr falsch als die Besitzverhältnisse. Unsere durchindustriealisierte exterministische Lebensweise entfremdet uns von uns selber und von der Natur. Darum werden wir einen kopernikanischen Einstellungswandel erleben, oder wir werden schon bald nicht mehr leben.

Man werfe mir nun bitte nicht esoterische Naivität vor; ich weiß selber, daß die hier formulierten Zusammenhänge eine ausführlichere und stringentere Darstellung verdienen, aber in radikaler Zivilisationskritik, mit der eine persönliche Veränderung jedes einzelnen verbunden sein muß, sehe ich die einzige hoffnungsvolle Perspektive für mein Leben und menschliches Leben auf unserem Planeten überhaupt. In diesem Sinne hoffe ich auch, daß die verschiedenen politischen Lager und Generationen im Gespräch miteinander bleiben. Denn ob nun „junger Ökologe“, „Altlinker“ oder „Neureicher“, die Ökologie lehrt uns, daß wir alle im selben Boot leben, und entweder wir lernen gemeinsam rudern oder wir gehen unter. (Solang in diesem Boot nur Männer sitzen... d.sin) Noch habe ich Hoffnung, daß die Grünen dabei zur Partei der ökologischen Zeitenwende werden. Wir werden sehen.

Matthias Bohn, AK-Ökologie der GAL, Hamburg

Da kommt die Tine Stein am kuschelig warmen Ofen vorbei, der da Sozialismus, Analyse und Klassenkampf heißt, und tritt der dort in der Ecke schnurrenden Katze, die da Altlinke, Alt-Apo, schlicht Linke heißt, auf den Schwanz. Und wie das halt so ist, kommt prompt das übliche Geschrei: „Ohne uns Alt-Apo gäbe es doch überhaupt keine Tine Stein, sondern nur das Heimchen am Herd. Nur die Linke liefert die Anaylse und leistet Oppositionsarbeit.“

Und dann kriecht die Katze wieder in die warme Ecke, analysiert und macht damit Opposition, analysiert und macht damit Opposition, analysiert und macht..., bis sie ziemlich bald umfällt oder aber der Ofen ausgeht. Und wäre dann noch eine von den vielen Katzen da, könnte sie analysieren, wie kurzfristig endlich doch die Perspektive ihres Daseins war.

Ihr (Alt-)Linken macht links zum Schimpfwort, weil Ihr gegen die Emanzipation der Lebenden tote Ideologien und Dogmen stellt. Ihr seid eben Kapitalismusgegner(Innen d.sin) und keine Industriealismusgegner(Innen - d.sin). Ihr seid eben Ressourcenerhalter(Innen - d.sin) und keine ÖkologInnen. Ihr seid eben Klassenkämpfer(Innen d.sin) und keine Menschenfreunde(freundinnen - d.sin). Eben links und nicht grün. (...)

Udo Kasel, Hamburg

Jeder denkende Mensch, wirklich jeder (sogar der Papst!) weiß, daß der ungehemmte Kapitalismus den Selbstmord der Menschheit bedeutet. Was die Grünen überlegen, anregen und ausprobieren müssen, sind erfolgversprechende Auswege! Dafür wird eine Partei ja gewählt. Also wenn jemand der begründeten Überzeugung ist, daß sozialistische Strategien weiterführen (...) dann muß er sagen, wie die aussehen: zum Beispiel ob Land Privateigentum bleiben kann oder ab wieviel Hektar das Land sozialisiert werden soll, oder wie das mit Immobilien, Handwerksbetrieben, Industrieanlagen ist. Was genau würde in welchem Fall Sozialisierung bringen, was könnte besser werden, was würde schlimmer?

Im Umbauprogramm, einem auf kurze Frist angelegtem Arbeitspapier, haben sich die Grünen einmal die Mühe gemacht, dezidiert Veränderungen in Produktion und Gesellschaft vorzuschlagen und genau durchzurechnen.

Dieses Programm hat zu Recht auch bei anderen Gruppen viel Zustimmung gefunden. Daß diese Diskussion hauptsächlich wegen des dauernden Verratsgeschreis dogmatischer Gruppen bei den Grünen nicht weiter gekommen ist, das ist, was Tine Stein einklagt.

Und ein weiteres, schlimmeres Mißverständnis kommt fast in allen Antwortbriefen heraus. Es wird postulliert, daß die Verfechter(Innen - d.sin) einer „reinen“ Ökologiepolitik, das heißt der Ausrichtung jeder Entscheidung an seiner Lebensverräglichkeit, blauäugig dem Kapitalismus huldigten. Selbstverständlichkeiten müssen nicht dauernd wiederholt werden: Ökologische Politik, wenn sie denn wirklich das Überleben sichern kann, wird eo ipso systemverändernde Politik sein. Aber die vorurteilsfreie Diskussion über die einzuschlagenden konkreten Schritte muß endlich beginnen.

Dorothea Meinsen, Friesoythe

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