: Sieg Iliescus und Betrugsvorwürfe
■ Nach ersten Zählungen wurden 89 Prozent der Stimmen für den rumänischen Übergangspräsidenten abgegeben / Beobachter und Opposition sprechen von Unregelmäßigkeiten, jedoch „freien“ Wahlen
Bukarest (ap) - Bei der ersten freien Parlaments- und Präsidentenwahl in Rumänien seit 53 Jahren hat nach ersten Ergebnissen und Prognosen der bisherige Übergangspräsident Ion Iliescu und seine „Front zur nationalen Rettung“ einen haushohen Wahlsieg errungen.
Unabhängige internationale Wahlbeobachter kritisierten am Montag jedoch Unregelmäßigkeiten, und die unterlegene Opposition warf der Front, dem Sammelbecken der ehemaligen Kommunisten, Wahlbetrug vor.
Westliche Wahlbeobachter sprachen zwar von grundsätzlich freien Wahlen, doch habe es Mängel und undemokratisches Verhalten gegeben.
Nach Auszählung von nur etwas mehr als zwei Millionen Stimmen, die die Wähler am Sonntag abgaben, entfällt auf Iliescu ein Anteil von 89 Prozent. Radu Campeanu von der Nationalliberalen Partei folgt danach mit acht Prozent weit abgeschlagen. Der Spitzenkandidat der Nationalen Bauernpartei, Ion Ratiu, kann nur mit etwa drei Prozent der Stimmen rechnen.
Das Bad Godesberger Infas-Institut, das die Wahl vor Ort verfolgte, teilte auf der Grundlage einer Befragung von 14.539 Wählerinnen und Wählern mit, bei der Präsidentenwahl sei mit 83 Prozent für Iliescu zu rechnen. Campeanu und Ratiu dürften auf elf beziehungsweise sechs Prozent kommen.
In der Stadt Temeswar, wo im Winter die Unruhen ihren Ausgang genommen hatten, die später zum Sturz Ceausescus führten, bestätigte sich nach Auszählung von rund 6.000 Stimmen der allgemeine Trend. Iliescu konnte demnach dort 78 Prozent der Stimmen erreichen, Campeanu 15 Prozent und Ratiu sieben.
Ausländische Wahlbeobachter räumten zwar Unregelmäßikeiten ein, konnten jedoch einen systematischen Wahlbetrug nicht bestätigen. Der Wahlbeobachter der SPD, der Bundestagsabgeordneten Freimut Duve, sprach in einem Interview des österreichischen Rundfunks von „teilweise chaotischen Zuständen“ in den Wahllokalen. Das Wahlsystem mit teilweise bis zu 32 Seiten umfaßenden Wahlzetteln sei „viel zu kompliziert“ gewesen.
Der spanische Senator Santiago Perez, als Vertreter der Sozialistischen Internationale nach Bukarest gereist, sprach von „zahlreichen Unregelmäßigkeiten“. Er regte die Bildung einer internationalen Kommission zur Überprüfung der Wahlen an.
In den Wahllokalen hatte den ganzen Tag über ein solcher Massenandrang geherrscht, daß sich die Wahlleitung entschlossen hatte, die Dauer der Abstimmung zu verlängern. Die letzten Wahllokale schlossen erst weit nach Mitternacht. Die Landeswahlleitung gab die Beteiligung mit 85 Prozent an.
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