: Ein Volkskundler in der Szene
Neuerscheinung über Fußballrandale in Deutschland ■ WIR LASSEN LESEN
Ein Samstag ohne ein bißchen Randale - das ist halt langweilig. Das ist, wie wenn du einen Stecker in die Steckdose steckst, und auf einmal geht das Licht an. Wie wenn du einen Schalter reindrückst. Da hält dich nix mehr, und da denkst du auch nichts mehr. Da bist du auf einmal nur noch am Rennen, am Hauen und Prügeln. Nachher denkst du dann wieder: Oh, Scheiße...“ Uli, Eintracht-Hooligan aus Frankfurt, mit zehn Jahren Randaleerfahrung ein Experte in Sachen Abenteuerfußball. Einer der „alten Garde“, der mit den heutigen „Mode-Hools“ nichts anzufangen weiß, dem die Jungen „zu extrem“ sind. „Daß einer lebensgefährlich verletzt wird oder so, das ist Scheiße... Früher war das auch so gewesen, wenn einer auf dem Boden gelegen hat, dann war Ruh gewesen. Laß ihn liegen! Heute mußt du damit rechnen, daß dir noch fünf Leute auf dem Kopf rumtreten, aus Haß.“
Thomas Gehrmann, Linksaußen des FC Rebstock und Sportkritikaster der „Kommune“, dokumentiert in seinem Buch ungeschminkte Gespräche mit Randale-Fans dreier Generationen. Seit vier Jahren bewegt sich der Ethnologe in dieser Szene. Als „Fan-Projektler“ betreute er unter anderem den Rüsselsheimer Fanclub „Presswerk“, eine Elitetruppe unter den Fußballrabauken mit schlagzeilenträchtiger Geschichte. Dem Volkskundler berichten sie ungewöhnlich offen ihre Fanbiographien, erzählen über ihre Einstellung zu Gewalt und Politik, Alkohol oder Frauen.
Thomas Gehrmann fügt Reportagen von eigenen Randaleerlebnissen (zum Beispiel während der Europameisterschaft 1980) und Polizeiprügeln an, er analysiert die Rituale der „Männerreligion Fußball“ und die Chancen und Strategien rechtsradikaler Truppen („Taunusfront“). Er benennt die gern geleugneten Zusammenhänge zwischen gewaltverherrlichender Sportberichterstattung oder der Brutalität auf dem Rasen und der unter den Fans.
Gehrmann heroisiert seine Klientel nicht, er hält Distanz, läßt Widersprüche - auch zu seinen eigenen Thesen - zu. Seine Gespräche verraten Neugier, nicht Bestätigungsdrang. Er revidiert Klischees linker Sozialarbeit (zum Beispiel das vom Fußballfan als sozialem Underdog), sein Vergleich „rechter“ und „linker“ Militanz - Hafenstraßen-Autonome contra Hooligans - dürfte nicht nur Kreuzbergs Straßenkämpfer die Zornesröte auf die Haßkappen malen. Für Gehrmann ist Randale - ob autonom oder glatzköpfig - die betonstädtische Variante junger Männer, ihre gesellschaftliche Position auszuboxen, Körperlichkeit zu erfahren, den gegnerischen Mob zu testen.
Leider geben die neuen Dimensionen der Ost-Skin-Randale Gehrmann zunehmend recht. Die gewachsenen Fanstrukturen lösen sich auf, die „scheinbar festen Ordnungen, auf wen man baut und wen man haut, die den Fußballfans auch immer das Gefühl vermittelt hatten, daß die Dinge so sind, wie sie sein müssen oder jedenfalls schon immer waren, bröckeln“. Aus Fanclubs werden lose Wochenendcliquen, und was heute noch vorzugsweise in den Stadien und drumherum abgeht, geschieht morgen in den Stadtteilen.
Farin
Thomas Gehrmann: Fußballrandale. Hooligans in Deutschland; Klartext Verlag, Essen 1990; 211 Seiten, DM 19,80
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