: In Miami fiebert man dem Fall Fidels entgegen
Nach der Krise des Kommunismus gibt es unter den reichen Exil-KubanerInnen im US-Bundesstaat Florida nur noch ein Thema: „Cuba Libre“, die Befreiung Kubas vom „kommunistischen Joch“ Fidel Castros / Zurück will allerdings kaum jemand ■ Aus Miami Rolf Paasch
Sonntag morgen, 20. Mai 1990 und 88.Jahrestag der Unabhängigkeit Kubas von Spanien. Schüsse hallen über das freie Feld am Rande Miamis, wo die flachen Vorstädte der amerikanischen Latino-Metropole in die Sumpfgebiete der „Everglades“ übergehen. 60 Freiheitskämpfer der Gruppe „Alpha 66“ robben in olivgrünen Kampfanzügen unter Stacheldrahtnetzen hindurch, überwinden Hindernisse, wie sie auf Abenteuerspielplätzen aufgebaut sind, und ballern bäuchlings auf Zielscheiben, in deren Mitte sie in der schwülen Hitze Süd-Floridas wohl das Gesicht Fidel Castros wähnen. Francisco Avila und andere Veteranen der glücklosen US-Invasion an der Schweinebucht im April 1961 bereiten hier draußen den Nachwuchs der ExilkubanerInnen in Miami auf den Fall aller Fälle, den Sturz des „Lider Maximo“ vor.
Nach 30 Jahren Exil sind Avila und Kommandant Umberto Perez hoffnungsvoller denn je. Castros Ende, sagt Francisco, sei nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa nur noch eine Frage der Zeit. Nach dem „Verrat“ der Kennedy -Administration in der Schweinebucht - wie das Ausbleiben der Luftunterstützung bei der damaligen Invasion in exilkubanischen Mythologie interpretiert wird - wollen sich die „Alpha 66„-Mannen in ihrem Kampf nicht noch einmal auf den unzuverlässigen Partner in Washington verlassen. „Wir jedenfalls sind auf alles vorbereitet“, sagt Umberto, ehe er einer jungen Schülerin, deren Make-up auf dem staubigen Gelände heftig gelitten hat, hilfsbereit das chinesische Maschinengewehr lädt.
Doch nicht nur die Mitglieder „Alpha 66“, eine von rund 20 solcher Gruppen, fiebern dem Fall Castros entgegen. Am gleichen Morgen schippert von der Südwestspitze Floridas eine Flotte aus 30 Freizeitkuttern in Richtung auf die 150 km entfernte Zuckerinsel los, vor dessen Küste den vom Kommunismus geknechteten Brüdern und Schwestern die Flagge der Freiheit gezeigt werden soll. Im Zentrum Miamis rollt an diesem Tag der Unabhängigkeit eine hupende Autokolonne die berühmte „Calle Ocho“ entlang, das Geschäftsviertel und ideologische Zentrum der 800.000 ExilkubanerInnen, die mit den Flüchtlingen aus Nicaragua und Haiti Miami prägen. Und auf dem spanischen Fernsehkanal „Univision“ diskutieren die „Commentatores“, jene in Miami so einflußreichen wie erzreaktionären Meinungsmacher der lokalen Radio- und TV -Stationen oder Zeitungen, über Modalitäten der Machtübernahme.
Ob sie im „Cafe Cubano“, einem der Restaurants von „Little Havanna“, das kapitalistische Modell für Kuba entwickeln oder nervös wie Schauspieler vor der Premiere noch an ihrer Rolle im letzten Akt basteln, sie alle gehören der wohl erfolgreichsten Einwanderergruppe der USA an. Kurz vor dem Sturz Batistas oder nach dem revolutionären Sieg Castros 1959 nach Miami geflohen, landete diese Geschäftselite damals mit einem Vermögen von insgesamt 20 Millionen Dollar an den Gestaden Floridas - was damals durchaus zum Kauf von ganz „Downtown“ gereicht hätte.
Bald hatten sie die nach Aufhebung der Rassentrennung eigentlich für die aufstrebenden Schwarzen bestimmten Geschäftsgründungsdarlehen aufgesogen und im damals noch etwas schläfrigen Miami die wirtschaftliche Führungsrolle übernommen. Seit ihrer Ankunft bekamen die Schwarzen in Miami keinen Fuß mehr auf die soziale Leiter. Sporadisch explodieren so die schwarzen Slums im Stadtteil „Overtown“ in gewaltsamen Aufständen, während der unaufhaltsame soziale Aufstieg die ExilkubanerInnen bald bis in die exklusiven weißen Wohngebiete von „Coral Gables“ vordringen ließ.
Zur gleichen Zeit, als die KubanerInnen in Miami an diesem Wochenende ausgelassen ihren Freiheitskämpfer Jose Marti feierten, erinnerten sich die Schwarzen auf einer Gedenkveranstaltung fast verzweifelt an einen ihrer gescheiterten Helden: Malcolm X, den vor 25 Jahren ermordeten Führer der „Black Panther„-Bewegung.
Die weißen AmerikanerInnen, auch Anglos genannt, haben Miami längst als ihre Stadt aufgegeben. „Wollen Sie wirklich nach Miami reinfahren“, fragt der Besitzer eines Hot-Dog -Standes am Strand des nördlich gelegenen Fort Lauderdale. „Das gehört doch gar nicht mehr zu den USA.“ Diese Andersartigkeit Miamis ist der exilkubanischen Gemeinde, die seit 1985 auch den Bürgermeister stellt, nur recht. Die Batistianos und diejenigen, die sich erst später von Castro lossagten, fühlen sich als Mittler im wachsenden Handel zwischen Nord und Süd, zwischen Latein- und Nordamerika in Miami pudelwohl. „Dies ist die beste beider Welten“, sagte Jose Jiminez, dreifacher Firmenbesitzer. Und selbst die rasche Amerikanisierung seiner beiden Töchter erfüllt ihn mit Stolz. Juana und Rosa können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, nach Kuba zurückzugehen. Für sie ist Miami hispanische Heimat und kosmopolitische Metropole zugleich.
Die ältere Generation redet dagegen immer noch von zurückgebliebenen Familienmitgliedern, die weiter unter Castro „leiden müssen“. Doch zurückgehen will selbst in ein befreites Kuba kaum noch einer. „Cuba libre“ - darunter verstehen die meisten ExilkubanerInnen in Miami nach 30 Jahren in den USA heute nur noch die Heimreisefreiheit.
Einer von ihnen plant allerdings seit Jahren gezielt die Rückkehr nach Havanna. Jorge Mas Canosa, reicher Telekommunikationsunternehmer, Vorsitzender der in Washington einflußreichen „Cuban American National Foundation“ und Möchtegern-Nachfolger Fidel Castros in einem Kuba des totalen laissez-faire. In den eleganten Büroräumen der von Mas geleiteten Lobbyorganisation in Süd-Miami wird derzeit bereits an einer kubanischen Verfassung gebastelt. Unlängst brüstete sich die Organisation gar damit, den Nobelpreisträger und Brutalo-Ökonomen Milton Friedman für 150.000 Dollar zur Ausarbeitung der zukünftigen Wirtschaftsverfassung angeheuert zu haben; was Friedman allerdings bestreitet. Mas‘ letzter Coup: den US Kongreß nach „Radio Marti“ nun auch noch zur Finanzierung eines exilkubanischen Fernsehsenders unter den Fittichen der „Voice of America“ zu überreden. „TV-Marti“ wird seit Sendebeginn im März von Kuba erfolgreich gestört.
„Florida“, so schreibt die Journalistin Joan Didion in ihrem Buch „Miami“, „ist der Teil der kubanischen Bühne..., wo der Chor darauf wartet, die Ereignisse zu kommentieren und manchmal sogar mitzuspielen.“ So stark wie in diesen Tagen war der Drang der exilierten Krieger und Politiker, vom Bühnenrand in Miami endlich wieder einmal ins Zentrum der Bühne zu treten, schon lange nicht mehr.
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