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Staatsvertrag in der Volkskammer

■ Zustimmung von Konservativen und SPD, scharfe Kritik der Opposition / BürgerrechtlerInnen prangern „Eisernen Vorhang“ gegen rumänische Flüchtlinge an / Die DDR wird zur „handlungsunfähigen Staatsbarkasse mit Teilsouveränität“

Berlin (taz) - Die Sondersitzung der Volkskammer, die allein der ersten Lesung des Staatsvertrages gewidmet sein sollte, begann am Montag nachmittag mit der Thematisierung eines noch drängenderen Problems: der Politik der DDR gegenüber den rumänischen Flüchtlingen. Gerd Poppe vom Bündnis 90 richtete eine Anfrage an den Ministerpräsidenten. Er erinnerte an das gemeinsame Schuldbekenntnis der Volkskammer auf ihrer ersten Sitzung auch gegenüber dem Volk der Sinti und Roma und stellte die Frage: „Errichtet nun die DDR ihrerseits einen 'Eisernen Vorhang‘ gegenüber den in Not geratenen Rumänen?“ De Maiziere argumentierte in seiner Antwort vor allem mit technischen Problemen bei der Unterbringung der Flüchtlinge, verwies darauf, daß nach dem geltenen Vertrag über visumfreies Reisen zwischen Rumänien und der DDR nur „Reisen zu touristischen Zwecken möglich ist“. Gleichzeitig aber sei die Ausländerbeauftragte „gebeten worden, in aller Kürze ein Asylrecht und ein Aufenthaltsrecht für die DDR vorzubereiten“.

Anschließend wurde der Staatsvertrag von Finanzminister Walter Romberg (SPD) und dem Leiter der DDR-Delegation bei den Verhandlungen, G. Krause (CDU), vorgestellt (wir berichteten darüber bereits in einem Teil der gestrigen Auflage). Romberg erklärte, er sei „überzeugt, daß mit dem Staatsvertrag als Kompromiß eine feste Brücke für den Übergang in die neue Ordnung gebaut worden ist“. Um die absehbar „wachsenden sozialen Probleme und Spannungen“ zu bewältigen, forderte er, auf das „Modell der konzertierten Aktion“ zwischen Regierung und Gewerkschaften zurückzugreifen.

Der Parlamentarische Staatssekretär Krause erklärte, Ziele des Staatsvertrages seien Sicherung des Lebensstandards, Preisstabilität, ein hoher Beschäftigungsstand, Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. In seinen weiteren Ausführung konzentrierte er sich darauf, geplante staatliche Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft und die Auflösung der bisherigen monopolistischen Strukturen zu schildern. Resümee seiner Argumentation war, daß es gilt, „erst einmal vorwärts zu kommen, anstatt darüber zu diskutieren, daß dann das Elend beginnt“.

SPD-Fraktionsvorsitzender Schröder bezeichnete den Staatsvertrag als „Chance, eine Erblast von vierzig Jahren einigermaßen glimpflich hinter uns zu bringen“. Den Souveränitätsverzicht bagatellisierte er mit Beispielen aus dem Alltagsleben: „Alle Menschen, die zusammenleben, geben dabei auch Souveränitätsrechte auf.“ Weiteren „Regelungsbedarf“ im Staatsvertrag, „der freilich nicht unbedingt mit Textveränderungen verbunden sein muß“, sah Schröder in drei Bereichen: bei der Konkretisierung der Strukturhilfen für die Wirtschaft, hinsichtlich des Eigentumsproblems und schließlich gelte es, zu verhindern, daß das Parteivermögen der PDS in D-Mark umgetauscht wird. Die Sprecher der beiden anderen Regierungsparteien - der DSU und der Liberalen - vermochten sich nicht einmal zu solch vorsichtigen Korrekturwünschen hinreißen lassen. Sie zeigten sich einfach rundherum zufrieden. Hubertus Nowack (DSU): „Am 1.Juli ist die Bundesbank auch unsere Bundesbank und Herr Pöhl ihr oberster Währungshüter. Wir begrüßen diesen Sachverhalt.“ Nun beginne ein „neuer, hoffnungsvoller Abschnitt der deutschen Geschichte“.

Dietmar Keller von der PDS kritisierteden Staatsvertrag als „Unterwerfung unseres Landes“. Auch die PDS sei für die deutsche Einheit, doch nicht auf dem Weg, daß Veränderungen lediglich in der DDR nicht in der BRD stattfinden. Durch den Vertrag würde die DDR-Regierung zum „Juniorpartner der Deutschen Bundesbank“. Das Zusammenführen der Wirtschaften beider Länder sei ein „historisch einmaliger und sehr komplizierter Prozeß“. Der Staatsvertrag entspreche weder dieser Kompliziertheit noch enthalte er genügend Garantien um „tiefe ökonomische Erschütterungen und soziale Konflikte“ zu vermeiden. Die Fraktion der PDS könne dem Vertrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen.

Grundsätzlich abgelehnt wurde der Staatsvertragsentwurf in dem Beitrag von Jens Reich, Bündnis 90/Grüne: „Die DDR gibt ihre Selbständigkeit in entscheidenden Teilen ab, ohne daß die staatliche Einigung zeitlich und sachlich gesichert ist.“ Wenn es auf internationaler Ebene überraschend zu Schwierigkeiten kommen sollte, dann würde die DDR als „handlungsunfähige Staatsbarkasse mit Teilsouveränität“ dastehen. Das Verfahren, die Verfassung einem von Finanzministern unterzeichneten Vertrag anzupassen, nannte er ein „logisch unmögliches Verfahren“. Die Abgeordneten würden für die Übernahme einer ganzen Reihe von Gesetzen stimmen, die sie noch nicht einmal überflogen haben. „Das frei gewählte Parlament dieses Landes wird an keiner Stelle des Entwurfes auch nur erwähnt. Das ist unannehmbar. Es darf in Verfassungsfragen nicht einfach durch einen Regierungsvertrag ausgeschaltet werden, sondern muß in Durchführung, Konfliktlösung, rechtlicher Auskleidung und Kontrolle von Anfang an einbezogen werden.“ Wirtschaftlich bedeute der Vertrag „einen kalten Schock...mit Massenkonkursen und Massenarbeitslosigkeit ohne hinreichendes soziales Netz“. Die Fragen von Grund und Boden sei nicht hinreichend geklärt. Das ehemalige Volkseigentum müsse der ganzen Bevölkerung gehören und nicht nur denjenigen mit einem fetten Sparguthaben. Reichs Resümee: „Der Vertrag bringt uns auf Gedeih und Verderb an den Tropf, und wir sind gezwungen abzuwarten, wie die teuerste und riskanteste aller möglichen Operationen letzten Endes aufgehen wird.“

Gegen Ende der Debatte trat de Maiziere noch einmal ans Rednerpult. Er meinte, die von der Opposition geforderte „Volksabstimmung“ über den Vertrag habe bereits stattgefunden: am 18. März. Die von Jens Reich geäußerten Befürchtungen hinsichtlich einer Verzögerung der Vereinigung durch eine der vier Siegermächte nannte er irreal: “...das heißt Gefahren herbeireden wollen, die nicht vorhanden sind.“ Generell behauptete der Ministerpräsident zur Verhandlungsführung, man habe sich bewußt bemüht, nicht alles in diesem Vertragswerk zu regeln: „Das Ziel der Verhandlung war, den Souveränitätsverzicht so gering wie möglich zu halten.“

Mit Zustimmung aller Fraktionen wurde der Staatsvertrag am Schluß der Sitzung in alle, irgendwie in Frage kommende Ausschüsse überwiesen. Die zweite und abschließende Lesung soll am 31.Mai 1990 stattfinden.

ws

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