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Baden-Württemberg auf Kompromißlinie

Der Staatsvertrag im Bundesrat / SPD-regierte Länder fordern Nachbesserungen / Hamburgs SPD/FDP-Koalition hält sich raus  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Geben ist seliger denn nehmen“, so warb gestern Baden -Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) per Bibelwort um Zustimmung zum Staatsvertrag. Sein nordrhein -westfälischer Kollege Johannes Rau (SPD) konterte mit dem Alten Testament, um die Ablehnung zu verdeutlichen: „Nur ein Narr gibt mehr, als er hat.“ Der Schlagabtausch bestimmte die mehrstündige erste Beratung des Staatsvertrags in der Länderkammer, die ohne Abstimmung endete.

Die SPD-Länder beklagten vor allem fehlende Schutz- und Umstellungsfristen für die DDR-Wirtschaft mit negativen sozialen Folgen sowie eine ungenügende Berücksichtigung von Umweltfragen. Sie wünschen außerdem eine stärkere Berücksichtigung der Rechte der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR. Kohl behandele die Verhandlungen als „Privatangelegenheit“, und das beschneide auch die Rechte der Länderkammer. Und ein Termin für gesamtdeutsche Wahlen könne nur in „vollem Konsens“ festgelegt werden.

Im Antrag der SPD-Länder wird auch auf die „Vorläufigkeit“ des Grundgesetzes hingewiesen. Eine neu zu schaffende Verfassung müsse durch einen Volksentscheid in beiden deutschen Staaten besiegelt werden. Dem Antrag der SPD -Länder schloß sich Hamburg, das von einer SPD/FDP-Koalition regiert wird, allerdings nicht an. Der Koalitionsvertrag sieht in Streitfällen Enthaltung im Bundesrat vor.

Finanzminister Theo Waigel (CSU) warnte vor einem „erneuten Eintritt in Grundsatzdiskussionen“, welche die „Gesundung“ der DDR verzögern und unabsehbaren „sozialen Sprengstoff“ anhäufen würden. Wer den Vertrag ablehne, der trage die „moralische, politische und historische Verantwortung“, daß die Einheit auf „unabsehbare Zeit hinaus verspielt wird“ und der Übersiedlerstrom wieder ansteige. Finanzminister Waigel verteidigte den Vertrag als für beide Staaten tragbar und finanzierbar.

Baden-Württembergs Regierungschef Lothar Späth kritisierte den „Kleinmut“ der Opposition, der im Ausland den Eindruck aufkommen lasse, die Deutschen meinten es mit der Einheit nicht so ernst. Späth äußerte - mit Seitenhieb auf Kohl auch Verständnis für „alle, denen bei diesem Tempo schwindlig wird“, nannte den Vertrag aber zugleich einen „Weg ohne Alternative“ und deutete ein Eingehen auf die von der SPD verlangten Nachbesserungen an. „Ergänzende Vereinbarungen“ zum Staatsvertrag seien möglich, ohne „die Substanz des Vertrages zu gefährden“.

Die Bundesregierung, darauf bestand gestern Johannes Rau, dürfe „Umsicht und Vorsorge nicht mit Zaudern und Zögern verwechseln“. Rau trat für die schnellstmögliche zu verantwortende Vereinigung ein. Allerdings sei „schnell und zügig etwas anderes als hastig und hektisch“. Der Westberliner Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) bezeichnete, abweichend von Rau, den Staatsvertrag als „tragfähige Grundlage“ für den Vereinigungsprozeß. Mompers Position wird dabei offenbar von der Sorge um die Berlin -Subventionen bestimmt, die die Bundesregierung abbauen möchte. Die Bundesrepublik, so Walter Momper, müsse auch bereit sein, positive Aspekte der DDR-Geschichte zu erhalten, wie die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben und die Regelung zum Paragraphen 218.

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