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„Das Ding existiert schon gar nicht mehr“

■ Am Brüter-Standort Kalkar-Hönnepel wird die niederrheinische Idylle von der Reaktorruine kaum noch gestört

„Graureiher haben wir hier am Wassergraben“, sagt Ulla Walkenhorst vom Informationszentrum der Schnell-Brüter -Kraftwerksgeselschaft mbH (SBK), als sie über den Parkplatz ihrem Auto und dem Feierabend zustrebt, „aber auch Bisamratten sind da drin.“ Weniger die martialische Umgebung als die Erwähnung dieser Tierchen vertreibt Gelüste, die Füße zur Abkühlung in den AKW-Abwehrgraben zu hängen. Über der schnurgeraden Rinne, Betonzaun und Kastenbauten von Kalkar, die riesig und dreist in die niederrheinische Ebene ragen, liegt die Ruhe eines warmen Frühsommernachmittags. Auf seiner Wiese jenseits der schmalen Ahornallee, die vom Dorf Hönnepel her zum Schnellen Brüter führt, wendet ein Bauer das Heu.

Hinter Graben und Natodraht - Barrikade und Symbol in einem - verteidigten Polizistenheere seit 1974 den Atomstaat gegen seine BürgerInnen. Der Graben schied aber auch die Anti-AKW -Bewegung: hier die Militanten, dort, auf der Wiese vom Bauern Maas, die Friedlichen. Josef Maas hat sein Anwesen verkauft. 1982, als in Kalkar die letzte Groß-Demo stattfand, ging seine Klage gegen den Reaktor bereits ins zehnte Jahr.

Die Tagesschicht von Kalkar hat Feierabend. Männer und Frauen gehen am Glaskasten des Werkschutzes vorbei und treten durch eine Drehtür ins Freie. Lust, über seine Arbeit in der Atomruine zu reden, hat niemand. Zu oft schon hat die mit den Jahren auf 250 MitarbeiterInnen geschrumpfte Belegschaft bereits zu Protokoll gegeben, wie man sich fühlt, wenn man für ein Projekt arbeitet, von dem selbst seine einstigen Befürworter wünschen, es möge unauffällig wieder von der Erdoberfläche verschwinden. Seit fünf Jahren arbeitet Ulla Walkenhorst jetzt im Informationszentrum. Ihre Gemütslage ist stabil. „Jeder, der hier arbeitet, hat die Diskussionen im Bekanntenkreis durch.“

Diskutieren mag sie nur noch während ihrer Arbeitszeit, „zwangsweise“, seufzt sie resigniert, „denn bei manchen Besuchergruppen hier geht das dann schon nach fünf Minuten gar nicht mehr um den Brüter, sondern darum, daß man die Gesellschaft verändern muß und sowas.“ Noch immer - und sie ist nicht erstaunt, daß man das erstaunlich finden kann „kommen 30.000 bis 35.000 Besucher pro Jahr“ ins Informationszentrum am Eingang des Kraftwerks, wo sie sich mittels Broschüren, beleuchteter Bildtafeln, Filmen und Modellen über die Sinnhaftigkeit und goldene Zukunft des Acht-Milliarden-Unternehmens Schneller Brüter belehren lassen. Multimedial hat sich hier auch vier Jahre nach Tschernobyl die reine Lehre behauptet: Atomkraft ist sauber, ungefährlich und nötig. Die Stuhlreihen für eine niederländische Schulklasse, die am nächsten Tag kommen soll, sind aufgestellt.

Während die Werbung für den totgesagten Brüter noch immer die 38,5-Stunden-Woche der Frau Walkenhorst und 30 Stunden ihrer Kollegin Runge füllt und der 'Westdeutschen Allgemeinen‘ gestern die Forderung der SPD -Bundestagsfraktion, „das Projekt aufzugeben“, immerhin noch zwölf Zeilen wert war, gab, so der Kalkaer Grüne Willibald Kunisch, der „schnelle Töter“ der 80er Jahre nicht einmal mehr genügend Stoff her für den jüngsten Landtagswahlkampf seiner Partei. In Kalkar kleben hier und da noch einige übriggebliebene Grünen-Plakate. Vom großen Protest gegen das „Höllenfeuer“ (Friedhelm Farthmann, SPD) gibt es jedoch keine Spur. In den Ramschständen eines Buchladens nahe des mittelalterlichen Kalkaer Marktplatzes sind mahnende Buchtitel wie „Strahlung nach Tschernobyl“ oder „Plutonium“ in die unteren Fächer gerutscht. In den Schaufenstern dominieren Bildbände über den „schönen Niederrhein“ und „Privatquartiere in der DDR“.

Am Vorabend der Karlsruher Entscheidung über den Streit zwischen der NRW-Landesregierung und Reaktorminister Töpfer hat Willibald Kunisch keine Zeit für den Brüter. Er muß zur Vorstandssitzung des Fußballvereins, „gut Wetter machen“. Als Grüner hat man's schwer bei den Alteingesessenen. Falls Töpfer in Karlsruhe recht bekommt und das umstrittene Projekt wieder forciert wird, zieht Kunisch vor Gericht. Er wurde auserkoren, in dem Fall die Klage gegen die Einlagerung der Brennelemente und die mögliche Betriebserlaubnis zu führen. Kunisch in den Fußstapfen von Bauer Maas? „Dazu“, so meint er, „wird es gar nicht kommen.“

Die KämpferInnen von einst haben sich längst zerstreut: Land-WG-Bewohner aus dem Schatten des Brüters gingen ins schicke Köln, vormals Gottlose nach Poona, die Ausstudierten dorthin, wo es Geld zu verdienen gibt. Die Grande Dame des Kalkaer Widerstands, Gerda Degen aus Moers, richtet ihren aufmerksamen Blick heute nach Düsseldorf und Karlsruhe statt nach Kalkar-Hönnepel. Und Josef, „Jupp“, Maas bewirtschaftet einen neuen Hof im Lippischen.

„Aber der Jupp, der hat recht behalten“, sagt an der Theke des Gasthauses Maas in Hönnepel ein etwa 45jähriger zu seinen beiden Freunden. „Ja, das hat er“, stimmt die Wirtin zu und stellt dem schon leicht angeschlagenen Jüngsten von den Dreien noch ein Bier hin. „Vor zwanzig Jahren dachte ich,“ fährt der erste fort, „wir brauchten die Atomkraft. Ich bin Techniker, Jupp ist Bauer. Aber er hat mich überzeugt.“ Jetzt kommt Josef Maas nur noch einmal im Jahr nach Hönnepel. „Für uns hier“, meint der betrunkene Freund, lehnt sich vor und deutet vage in Richtung Brüter, „existiert das Ding gar nicht mehr. Nur daß die mit ihren Kameras da am Zaun noch ein paar Einheimische bewachen.“ Heute habe er, erzählt er dann und hüllt sich träumerisch in Bierdunst, nahe am Kraftwerksgelände einen Strauß Margeriten gepflückt, „da kommen die Bauern nicht hin mit ihren Spritzen. Aber sonst ist nix mehr los am Brüter.“

Bettina Markmeyer, Kalkar.

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