: DDR-Katholiken: Wende verschlafen
■ Katholikentag: Viele junge Gläubige aus der DDR haben großen Frust und kritische Fragen an ihre Kirche mit nach West-Berlin gebracht: Wo standen die Gemeinden vor und bei der Revolution? / Auch die typisch westliche Materialschlacht irritiert viele DDR-BürgerInnen
West-Berlin. 35.000 KatholikInnen aus der DDR nehmen an dem seit 32 Jahren ersten gesamtdeutschen Katholikentag teil. Die Gläubigen aus der Diaspora kommen mit besonders viel Neugier und Erwartungen nach Berlin. Doch die jungen KatholikInnen bringen auch viel Frust mit: Die katholische Kirche in der DDR hat im Gegensatz zur evangelischen die Zeichen der Zeit bislang verschlafen. Da ist einmal das konservativ-verstaubte Gemeindeleben, zum anderen die auffällige Zurückhaltung der Kirchenleitung und vieler Pfarrer während der „friedlichen Revolution“. Zwar haben die Jungen und Alten eins gemeinsam: Sie sind auf der Suche nach „Innovationsschüben“ für das in den Jahren der Trennung isolierte Gemeindeleben. Aber während die älteren Jahrgänge sich vor allem Impulse im karitativen und sozialen Bereich wünschen, streben die JungkatholikInnen nach grundlegenden Reformen, suchen nach Argumenten gegen die altväterlichen Hirten.
„Bei uns geht es manchmal noch zu wie im Mittelalter!“, erzählt Simone aus der Lutherstadt Wittenberg. So werde der Religionsunterricht im Gemeindezentrum für die kleineren Kinder noch getrenntgeschlechtlich abgehalten. „Da brauchen sich die Alten ja nicht zu wundern, wenn es nicht mehr genug katholische Ehen gibt“. Als „finsteren konservativen Okkultismus“ beschreibt ein junger Mann die Politik der Kirchenoberen. „Wehe es muckt mal einer gegen den Pfarrer auf. Der kann dann aber sehen, wo er bleibt, falls mal wieder ein Raum für einen Jugendabend gebraucht wird, und muß erst mal einen Knicks machen“, meint ein anderer.
Von kirchlicher Opposition, wie etwa den Basisgemeinden der „Kirche von unten“ im Westen, haben die älteren Jahrgänge noch nichts gehört. Sie betonen das bewußte Festhalten am katholischen Konservatismus. Reformbestrebungen, wie die Zölibatsfreiheit für Priester, lehnen sie rundheraus ab. So argumentiert das männliche Oberhaupt einer Familie aus Wolgast: „Ein Priester, der eine Familie hat, kann sich wohl kaum noch mit der nötigen Aufopferung um die Gemeinde kümmern.“
Nur von den Jugendlichen konnte man aufmüpfigere Meinungen hören: Sie kritisieren sogar Katholikentag selbst. „Das erste, was uns aufgefallen ist, ist die riesige Materialschlacht“, sagt Andreas. Ob man sich denn das heute noch so ohne weiteres leisten könne, gab er zu bedenken.
Überhaupt wäre ihm das alles „doch zu sehr durchorganisiert“. „In Dresden auf dem letzten DDR -Katholikentag war es gemütlicher“, sagt er. Ganz so radikal wie die „Kirche von unten“, von der sie zum ersten mal einen Tag zuvor etwas im Radio gehört hätten, wolle man ja gar nicht sein. Aber das Zölibat für Priester könne man heutzutage wirklich aufheben. „Dann wären sie vieleicht ausgeglichener und würden aus den Erfahrungen mit den eigenen Kindern heraus die Probleme von uns Jugendlichen besser verstehen“, meint eines der Mädchen. Und ein junges Pärchen: „Der katholischen Kirche täte ein bißchen Wind der DDR-Wende ganz gut, um denen jahrzehntealten Staub mal ordentlich aufzuwirbeln.“
Markstein
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