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Schewardnadses „Njet“ erfreut Genscher

Sowjetischer Außenminister dementiert Berichte über angebliche Moskauer Forderung nach Vereinbarung über eine deutsche Armee im Rahmen von 4+2 / London und Paris entpuppen sich als Bremser / Vor VKSE Klarheit über „westeuropäische Verteidigungsorganisation“  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Der sowjetische Außenminister Schewardnadse hat Berichte demetentiert, wonach Moskau eine Vereinbarung über die Größe einer künftigen gesamtdeutschen Armee im Rahmen der 4+2 -Gespräche zur Vorbedingung für die Unterschrift der UdSSR unter ein Abkommen über die Stabilität konventioneller Streitkräfte in Europa (VKSE) macht. Einem Kompromiß in der Truppenfrage, neben den Flugzeugen das Hauptproblem bei den Wiener VKSE-Verhandlungen, stehen nach übereinstimmenden Angaben westlicher wie östlicher Diplomaten gegenüber der taz nicht Bedenken Moskaus, sondern der Franzosen und Briten entgegen. In Brüssel hatten Mitarbeiter von US-Außenminister Baker am Montag die Botschafter der Nato-Staaten darüber informiert, Schewardnadse und Gorbatschow hätten Baker letzte Woche in Moskau die Forderung nach einer Vereinbarung der 4+2-Runde über die Größe einer gesamtdeutschen Armee unterbreitet.

Auf die Frage der taz, ob er diese Berichte bestätigen könne, erklärte Schewardnadse nach einem Treffen mit Bundesaußenminister Genscher am Mittwochabend in Genf mehrfach „Njet“, was von seinem Übersetzer mit „ich kann dies nicht bestätigen“ wiedergegeben wurde. Genscher reagierte darauf mit der sichtlich erfreuten Bemerkung, dieses sei „das erste Njet“, das er „bisher aus dem Mund von Herrn Schewardnadse gehört“ habe. Das Bonner Außenministerium hält sich an diese Aussage von Schewardnadse und geht davon aus, daß entweder die in Brüssel von Bakers Mitarbeitern vorgelegten Informationen oder die darüber verbreiteten Berichte falsch sind. Es sei auch nicht auszuschließen, hieß es in Genf, daß Baker seine Moskauer Gesprächspartner „falsch verstanden“ habe.

Genscher und Schewardnadse zeigten sich sehr befriedigt über ihre fast fünfstündigen „konstruktiven, fruchtbaren und vertrauensvollen“ Gespräche. Thema waren die bilateralen Beziehungen, Rüstungskontrolle, die 4+2-Gespräche und der KSZE-Prozeß. Ihre Diskussion über die Frage einer künftigen Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands bezeichnete Schewardnadse als „nützlich“.

Bei den VKSE-Verhandlungen wird informell seit Wochen eine wesentlich von Bonn formulierte Kompromißformel diskutiert. Danach wird bis zur Unterzeichnung eines ersten VKSE -Abkommens nicht über Truppenbegrenzungen verhandelt werden. Doch soll das Abkommen folgende verbindliche Vereinbarungen enthalten: die Frage von Truppenreduzierungen ist mit der bereits vereinbarten Begrenzung sowjetischer und US -amerikanischer Soldaten auf jeweils 195.000 in Zentraleuropa nicht abgeschlossen; unmittelbar nach Unterzeichnung von VKSEI - also nach bisheriger Zeitperspektive Ende 1990/Anfang 1991 - beginnt auf der Basis desselben Mandats eine zweite Verhandlungsrunde, bei der es vorrangig um die Reduzierung aller anderen nationalen wie fremdstationierten Truppen im Verhandlungsgebiet zwischen Atlantik und Ural und damit auch um die auf dem Territorium des bis dahin voraussichtlich vereinigten Deutschlands geht.

Die Delegationen der Sowjetunion in Wien unter Botschafter Grinevski wie der anderen sechs WVO-Staaten haben dieser Formel im Prinzip zugestimmt. Doch Franzosen und Briten verlangen, daß zunächst „mehr Klarheit über die Notwendigkeit, Formen und Größenordnung einer westeuropäischen Verteidigungsorganisation“ geschaffen wird. Dies könne „im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) oder der westeuropäischen Nato-Staaten erfolgen“. Vorher dürfe es in Wien keine Festlegung auf Verhandlungen geben, die zu Reduzierungen von Truppen sowie über ein erstes Wiener Abkommen hinausgehende Verringerungen von Waffen führen könnten - „möglicherweise auf einen Stand unterhalb des für eine westeuropäische Verteidigung notwendigen Minimums“.

Unter den Nato-Staaten ist wegen dieser Bedenken aus Paris und London bislang lediglich Konsens, daß sich eine zweite Wiener Verhandlungsrunde mit Fragen der militärischen Mobilisierung und Logistik befaßt. Genscher vermied in Genf eine Antwort auf Fragen, warum die Wiener Verhandlungen stocken. Doch unterstrich er, „kein Land“ dürfe „sich der Abrüstung entziehen“. Bonn will ein baldiges Wiener Abkommen, weil davon die Durchführung der KSZE -Gipfelkonferenz noch in diesem Jahr abhängt, auf der das Ergebnis der 4+2-Gespräche abgesegnet werden soll. Daher dürfte Genscher bei den Gesprächen mit seinen Außenministerkollegen Dumas, Hurd und Baker auf eine Zustimmung zu der Kompromißformel drängen.

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