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Geschlechterkampf im Parlament

Wenn Frauen reden, schnellt die Zahl der dummen Sprüche im Bundestag in die Höhe  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Heiterkeit“, „Beifall“ und „Zustimmung“ verzeichnet das stenographische Protokoll des Bundestags. In diesen Mitschriften schlägt sich aber auch der Geschlechterkampf in besonderer Weise nieder: in Zwischenrufen, die insbesondere weibliche Abgeordnete hinnehmen müssen. Die Zahl der Zwischenrufe ist bei Rednerinnen um etwa die Hälfte höher als bei ihren männlichen Kollegen. Dies hat der Braunschweiger Privatdozent Armin Burkhardt in seiner Untersuchung über „Chauvi-Sprüche im Parlament“ herausgefunden. Wenn Frauen sprechen, gibt es mehr verzeichnete „Unruhe“, rhetorische Fragen von Männern erscheinen bei Frauen gar viermal häufiger, ironische Aufforderungen doppelt so oft im Protokoll.

Sprachforscher Burkhardt hat mehrere Formen der männlichen Intervention ausgemacht: Beim „jovialen“ Zwischenruf werde mit väterlicher Herablassung und der gleichzeitigen Unterstellung der Imkompetenz gearbeitet. Der Zuruf der CDU/CSU an die grüne Abgeordnete Gaby Potthast, „Wer hat Ihnen denn den Unsinn aufgeschrieben“, suggeriert, daß die Rednerin vom Thema keine Ahnung habe und auch noch jemand brauche, der ihr alles aufschreibt. „Das ist eine Frage des Intellekts, Frau Kollegin! Ich verstehe das!“, mußte sich Renate Schmidt (SPD) anhören, nachdem sie äußerte, sie habe den Sinn einer Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU nicht verstanden.

Neben den „bovialien“ (von lat. Bovis: der Ochse) Einwürfen, die schlicht ignorant, aggressiv und lärmend sind, erfreuen sich die „chauvialen“ Sprüche besonderer Beliebtheit beim männlichen Personal des Bundestags. „Zur Sache, Schätzchen!“ wurde Waltraud Schoppe (Grüne) zugerufen und die SPD-Abgeordnete Anke Martiny-Glotz bekam gesagt, „Sie sehen besser aus, als Sie reden, Frau Kollegin“. Auffällig ist, daß es besonders die grünen Parlamentarinnen sind, die sich dergleichen anzuhören haben. „Sie hat sich extra die Jeans angezogen“, war das Begrüßungswort der CDU/CSU beim Redebeginn von Marie-Luise Beck-Oberdorf. Der Chemie-Professorin Hickel (Grüne) meinte ihr CDU-Kollege Boroffka bei der Debatte über chlorierte Wasserstoffe Nachhilfe geben zu müssen: „Schon die Terminologie, die Sie verwendet haben, macht deutlich, wie geringe Sachkenntnis Sie haben. Ich will wenigstens kurz versuchen, Ihnen darzulegen, wie umfassend die Problematik in der Tat ist.“

Burkhardt, der Zwischerufe seit den Zeiten des Parlaments in der Frankfurter Paulskirche untersuchte, hat festgestellt, daß die Zahl und die „Qualität“ der Zurufe in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat. Er nennt dies Ergebnis „bestürzend“, will dahinter aber eine besondere Dialektik ausgemacht haben: Je weiter die tatsächliche Gleichberechtigung in der Gesellschaft fortgeschritten ist, desto chauvinistischer seien die männlichen Reaktionen. Gerade das „exponierte Nicht -Ernstnehmen der weiblichen Abgeordneten“ zeige, daß „diese im Grunde sehr ernst genommen werden“, schreibt Burkhardt im „Sprachreport“, der Zeitschrift des Instituts für deutsche Sprache. Den Frauen im Bundestag wird das vermutlich wenig Trost sein.

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