: Plutonium rieselt aus Atomwaffen
■ US-Wissenschaftler: In der BRD gelagerte Atomgranaten und -sprengköpfe sind hochgefährlich / Explosionsgefahr beim Transport / Bundesregierung spielt Gefahr herunter: Bis jetzt noch kein Unfall in der BRD mit Nuklearwaffen
Washington/Brüssel (wps/taz) - In der Bundesrepublik lagern defekte US-Atomgranaten, die jederzeit explodieren oder Plutonium abgeben können. Aber die Bundesregierung ist eifrig bemüht, diese Gefahr herunterzuspielen, und lehnt die Forderung nach sofortigem Abzug der Artilleriegeschosse ab.
'Washington Post‘ berichtete am Mittwoch, daß die Direktoren der drei führenden US-Atomwaffenlabors Livermore, Los Alamos und Sandies den zuständigen Kongreßausschuß in Washington auf die große Gefahr bei Transportunfällen mit drei Atomsprengkopftypen hingewiesen haben: dem Sprengkopf W -79, mit dem die rund 200 seit 1986 auch in der Bundesrepublik lagernden 203-Millimeter-Artilleriegranaten ausgerüstet sind; dem W-69 auf der von B-1-, B-52- und FB -111-Bombern transportierten Kurzstreckenrakete SRAM-A sowie dem für die neue Trident-II-U-Bootrakete vorgesehenen Sprengkopf W-88.
Im Fall des W-88 empfahlen die Wissenschaftler den sofortigen Abbau und die Lagerung in Depots, weil von ihnen „unakzeptable Sicherheitsrisiken“ ausgehen. US -Verteidigungsminister Cheney hat am Mittwoch in Brüssel bestätigt, daß bei den 203-Millimeter-Atomgranaten in der Bundesrepublik Defekte aufgetreten seien. Diese seien jedoch inzwischen „repariert“ worden. Einzelheiten verweigerte er unter Berufung auf Geheimhaltungsgründe.
Das Bundesverteidigungsministerium lehnte die Forderung nach sofortigem Abzug der Granaten ab und erklärte, in der Bundesrepublik sei es noch nie zu einem Unfall mit Nuklearwaffen gekommen. Diese Erklärung unterschlägt, daß die W-79-Sprengköpfe - die in den USA aus Sicherheitsgründen mit der Bahn - in der Bundesrepublik ausschließlich per Hubschrauber transportiert werden. Es ist bekannt, daß der dabei vor allem verwendete Transporthelikopter CH-47 D wegen technischer Defekte allein in den letzten zwei Jahren mindestens fünfmal notlanden mußte.
Unklar ist, seit wann die Bundesregierung über das Problem informiert ist. US-Verteidigungsminister Cheney erklärte, zuständige Bonner Offizielle seien informiert worden, als US -Techniker 1988 Reparaturarbeiten an den in der BRD lagernden Granaten vornahmen. Damals hatte das Pentagon die US-Truppen in der BRD angewiesen, bis zur Beendigung der Arbeiten die Artilleriegranaten nicht zu transportieren. Bundeswehr-Generalmajor Neumann erklärte hingegen, die USA hätten Bonn lediglich über „Formänderungen“ unterrichtet, bei denen es sich nach Angaben des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Wellershoff, um „technische Veränderungen“ gehandelt habe.
Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen