piwik no script img

EIN PARADIES WIRD GEPLÜNDERT

■ Touristenboom und die großangelegte Kapitalisierung Goas

Zu allen Zeiten war die Lyrik von Naturbetrachtung und Naturbewunderung geprägt. Nun aber, im Zeitalter der Ökokatastrophe, gehen auch den hartnäckigsten Verseschmieden die grünen und blauen Metaphern aus. Da der Mensch ohne verheißungsvolle Bilder einer ganz anderen, erlösten Existenz auf Dauer nicht leben kann, ist die professionelle Urlaubsprosa eingesprungen.

„Das halbmondförmige Goa, mythologisch und geschichtlich berühmt, liegt zwischen dem Sahyadri-Gebirge im Osten und dem Arabischen Meer im Westen. Grüne Wälder, Plantagen von Kokosnuß- und Mangobäumen, dazwischen ausgedehnte Felder zum Anbau von Reis prägen das Landschaftsbild. Die lange Küste wimmelt von bezaubernden Buchten und palmenumrahmten Stränden.“

Was die offizielle Touristenbroschüre in mühsam erlernter Werbesprache anpreist, haben schon Hunderttausende bundesdeutscher Touristen selbst erlebt - eines der letzten Reiseparadiese, der verwirklichte Traum von Kokosnuß und Palmenstrand. Die Übereinstimmung zwischen Werbeprospekt und Wirklichkeit in Goa ist so überraschend wie zufällig, doch die Postkartenidylle verblaßt mit jedem Jahr. Goa ist auf dem Weg, den noch jedes Paradies genommen hat, das die Nachkommen von Adam und Eva nicht rechtzeitig des Landes verwies: im Poesiealbum der modernen Zivilisation zu landen.

Seitdem die Charterfluggesellschaft der Lufthansa, „Condor“, im Jahre 1985 ihre Direktflüge nach Goa aufnahm, weil der blutige Bürgerkrieg die Touristen aus Sri Lanka vertrieb, avancierte der kleine westindische Bundesstaat zwischen Bombay und den Malediven zu einem der attraktivsten Ziele des internationalen Ferntourismus. Innerhalb von fünf Jahren verdoppelte sich die Zahl der ausländischen Touristen. 110.000 kamen 1989 nach Goa, das kleiner ist als das Saarland.

Am 7. November des Jahres 1987 wurden bundesdeutsche Pauschalurlauber zum ersten Mal direkt mit organisierten Bürgern Goas konfrontiert, die ihnen unmißverständlich zu verstehen gaben, sie seien auf Goa nicht willkommen. Mitglieder der „Armee der erwachten Goanesen“ hatten die gerade aussteigenden „Condor„-Passagiere noch auf dem Rollfeld des Dabolim-Flughafens empfangen und Flugblätter verteilt, in denen die Zerstörung der Lebensgrundlagen der einheimischen Bevölkerung durch den expandierenden Luxustourismus angeprangert wurde.

Gut zwei Jahre später, im Dezember 1989, veranstaltete die „Vigilant Goans Army“ einen Sitzstreik auf dem Flughafen, wo „der große hungrige Geier“ namens Condor wieder einmal eine Ladung deutscher Touristen ausgestoßen hatte: „Siehst Du nicht den Schaden, die Zerstörung und den 'Tod‘, den Du jedesmal verursachst, wenn Du nach Goa kommst?“ Den stählernen Condor kümmerte es nicht. Nur bei einigen der Touristen regte sich sichtbar ein Funke schlechten Gewissens, das aus dem Handeln wider besseres Wissen rührt. „Ich weiß, daß ich als Tourist zur Zerstörung der natürlichen Umwelt beitrage, aber die paar Tage Urlaub habe ich mir schließlich auch verdient“, sagte einer in die Kamera eines westdeutschen Fernsehteams.

Die wachsenden Proteste der Bevölkerung in Goa finden nun auch Unterstützung bei InderInnen, die in der Bundesrepublik leben und arbeiten, weil die bedrohlich zunehmende Umweltzerstörung längst alle nationalen und sozialen Grenzen gesprengt hat. Im April 1990 hat sich in Frankfurt am Main ein „Internationales Forum Süd-Asien“ gegründet, um die interessierte Öffentlichkeit über wichtige Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent zu informieren. Die erste Veranstaltung beschäftigte sich mit dem Thema „Tourismus, Ökologie und Überlebenskampf am Beispiel Goa“.

Professor Patrick V. Dias, Inhaber des Lehrstuhls „Pädagogik: Dritte Welt“ an der Frankfurter Universität und aus Goa stammend, berichtete von der rasanten Ausweitung touristischer Großprojekte entlang der 104 Kilometer langen Küste, die die Ökologie wie die Ökonomie Goas nachhaltig bedrohen, wobei die indische Zentralregierung in Neu-Delhi tatkräftig Hilfe leistet. Jeder Investor erhält massive Steuererleichterungen, staatliche Subventionen in Höhe von 25 Prozent des eingesetzten Kapitals und das Recht, die einheimische Bevölkerung nach Bedarf zu vertreiben. Der „Land Acquisition Act“ erlaubt die großflächige Enteignung zugunsten touristischer Anlagen.

Anfang 1990 gab es 15 Luxushotels, 35 weitere sind geplant oder bereits im Bau. Seit Jahrhunderten ansässige Fischerfamilien werden aus den Küstengebieten verjagt; wenn es nicht anders geht, auch mit bezahlten Schlägertrupps oder mit Hilfe von Armee-Einheiten. Ebenso ergeht es Bauern und Palmweinerzeugern, auf deren Land die internationalen Hotelkonzerne ihr Auge geworfen haben. Wie in vergleichbaren Regionen gibt es keinen dauerhaften Ersatz für auf diese Weise vernichtete Arbeitsplätze. Die Jobs in der Tourismusindustrie sind rar, schlecht bezahlt und von der schlimmsten Sorte, zudem äußerst prekär und unsicher (siehe das Beispiel der Kanarischen Inseln). Das große Geld aber zirkuliert in der „weißen“, europäisch-amerikanischen Weltwirtschaft.

Die Kosten, so belegte die ebenfalls in Goa geborene Referentin Dr. Ida Kurth, trägt dagegen das Land. Am Ende der sechziger Jahre, als die allerersten Freaks, Aussteiger und alternativen Globetrotter die Küste Goas erreichten, war noch ein Drittel des Landes von Wald bedeckt. Heute sind es noch acht Prozent. Floß damals überall noch reichlich kristallklares Wasser, so erhalten die Dörfer in der Nähe der großen Luxushotels nun ihr Trinkwasser nur noch zwei Stunden am Tag: eine Stunde morgens, eine abends. Währenddessen rauschen 300.000 Liter besten Grundwassers pro Tag rund um die Uhr durch die edlen Freizeitburgen. Zum Dank werden die Abwässer ungeklärt und umstandslos ins Meer geleitet. Der Müll inklusive hochgiftiger Substanzen wie Batteriequecksilber landet ein paar hundert Meter weiter in der Landschaft.

Während Oberflächengewässer verschmutzen, sinkt der Spiegel des noch sauberen Grundwassers. An vielen Stellen sind deshalb schon die Palmen gelb geworden. Da es keine einschlägige Infrastruktur gibt - Goa wurde erst 1961 offiziell aus der portugiesischen Kolonialherrschaft entlassen -, gibt es auch keinen Schutz gegen die vielfältigen Emissionen, die der Boom der Tourismusindustrie produziert.

Ebensowenig sind ökologische Mindestanforderungen auf dem Niveau europäischer oder japanischer Umweltgesetze einklagbar. Auch das vornehme „Leela-Kempinski„-Hotel leitet seinen Dreck direkt ins Arabische Meer. Die Sorgen der Fischer über den drastischen Rückgang ihres Fangs zählen dabei nicht. Das gerade fertiggestellte „Leela-Kempinski“ gilt als Paradebeispiel des modernen touristischen Kolonialstils.

Nachdem das Unternehmen 137.000 Quadratmeter besten Landes an der Südküste für ein Viertel des Marktwerts gekauft und ansässige Farmer und Palmzapfer vertrieben hatte, wurden die Sanddünen - entgegen den Bestimmungen des „Environment Protection Act“ von 1986 - mit Bulldozern plattgewalzt. Um eine der wenigen staatlichen Auflagen zu umgehen, derzufolge kein Bauwerk höher als die umgebenden Palmen sein darf, ließ „Leela-Kempinski“ mehr als 500 ausgewachsene Kokosnußpalmen fällen. Mehr als 4.000 junge Bäumen wurden aus der Erde gerissen. Da der gesamte Hotelkomplex innerhalb der gesetzlich verbotenen 500-Meter-Zone zur Meeresflutlinie liegt, also illegal errichtet wurde, verringerte die indische Regierung die Bauverbotszone auf 200 Meter: Lex Kempinski.

Goa hatte vor dem Tourismusboom den höchsten Lebensstandard Indiens. Hunger und Bettelei waren unbekannt, und als die ersten Rucksackurlauber an die Strände geschwemmt wurden, hieß eine der beliebtesten goanesischen Freizeitvergnügungen „Helle Leute gucken“. Das ist längst vorbei.

Die großangelegte Kapitalisierung dieser Oase auf dem geschundenen indischen Subkontinent bringt nicht nur erste Verslumungstendenzen durch indische Leih- und Saisonarbeiter, Drogen und Aids als obligatorischen Zivilisationserscheinungen, sondern auch die Erosion der gesamten bisherigen Ökonomie Goas, die ihre Bevölkerung gut leben ließ. Wie unauflöslich diese Ökonomie mit der Ökologie der natürlichen Umwelt zusammenhängt, zeigen die Wirkungen jedes neuen Hotels, neuen Golfplatzes und jedes zusätzlichen Supermarktes.

„Wenn Sie wollen, daß Goa in der Zukunft überlebt, dann kommen Sie nicht als Chartertourist nach Goa!“ bittet die „Vigilant Goans Army“. Es wäre das erste Mal, daß Kokosnuß und Palmenstrand die Verwirklichung europäischer Urlaubsträume überleben würden. Es kommt auf den Versuch an.

Reinhard Mohr

P.S.: Trotz dreimaliger telefonischer Anfrage fand sich die Pressesprecherin von Kempinski Deutschland nicht bereit, mit der taz über „Leela-Kempinski“ in Goa zu sprechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen