piwik no script img

Todesstoß für eine Wildflußlandschaft

Mindestens zwölf Seitentäler des Tiroler Lechs sollen für die Stromgewinnung verbaut werden / Kraftwerke, Staumauern und Überleiter würden seltenen Tier- und Pflanzenarten den Garaus machen / Diesseits und jenseits der deutsch-österreichischen Grenze formieren sich Umweltschützer und Talbewohner zum Widerstand  ■  Von Klaus Wittmann

Die Region „Oberes Lechtal“ in Tirol (Österreich) gilt seit Jahrhunderten als arme, benachteiligte Region. Ganz im Gegensatz zur Nachbarregion Reutte fristen die meisten Lechtaler ein karges Bergdasein. Da tröstet es die Bewohner wenig, daß sie in einer der letzten echten Wildflußlandschaften Europas leben. Nur noch im italienischen Friaul, sagen Naturschützer, gäbe es eine ähnlich ursprüngliche Wildflußlandschaft mit einer solch einmaligen Flora und Fauna. Im Lechtal wachsen noch Orchideen und Silberwurz. Das Landschaftsbild spiegelt den Zustand eines alpinen Tales der Nacheiszeit wider, das sich mehr als 10.000 Jahre unverändert erhalten hat. Eine wissenschaftliche Dokumentation, die inzwischen in Buchform vorgelegt wurde, listet alleine 434 Nachtschmetterlingsarten auf, die es zum Teil nur noch im Lechtal gibt. Und die „Teutsche Tamariske“, eine seltene Pflanze wächst in Europa nur noch im Tiroler Lechtal. Doch mit der Idylle und Artenvielfalt im Lechtal könnte es bald vorbei sein.

Nach den Plänen des E-Werks Reutte sollen mindestens zehn der zwölf Seitentäler des Lechs verbaut werden - zur Stromgewinnung. Der Lech als Wildflußlandschaft würde nach Ansicht der Initiative „Lebensraum Lechtal“ zerstört. Kraftwerke, Staumauern und Überleiter würden reißende Gebirgsbäche bändigen und somit zerstören. „Wieder einmal soll zu Lasten des Oberen Lechtals der Wohlstand der Region Reutte vermehrt werden“, schimpfen Mitglieder der zahlreichen Organisationen, die sich zum „Lebensraum Lechtal“ zusammengeschlossen haben.

Daß es lange Zeit kaum Widerstände gegen die Kraftwerkspläne der E-Werke gegeben hat, die schon heute rund ein Drittel ihres Stromes in die Bundesrepublik exportieren, hat im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen war von den stolzen Tirolern sehr schnell zu hören, sie würden sich jede Einmischung in inner-österreichische Angelegenheiten verbitten. Anlaß dazu bot der Protest des Deutschen Alpenvereins, der eine Berghütte in den Tiroler Alpen betreibt.

Der noch weitaus gewichtigere Grund ist nach Ansicht von Pfarrer Karlheinz Baumgartner aus dem Tiroler Ort Steeg jedoch in der starken Abhängigkeit der Lechtaler von den Arbeitsplätzen in Reutte zu sehen. In den letzten Jahren sind immer mehr Bergbauern zu Nebenerwerbslandwirten geworden. Nach der Stallarbeit am Morgen fahren sie hinunter ins reiche Reutte zum Arbeiten, viele von ihnen ins E-Werk. „Da verwundert es nicht, wenn sich diese Leute nicht wehren“, sagt Obmann Bertram Wolf. „Die wollen nach jahrelangen Entbehrungen eben auch ein Stück von dem Kuchen abhaben, der Wohlstand heißt.“

Inzwischen hat sich die Situation geändert. Die Unterstützung des Deutschen Alpenvereins, von Bund Naturschutz World Wildlife Fund und zahlreichen anderen Organisationen aus dem Nachbarland, wird heute vielfach begrüßt. Allein 12.000 Unterschriften gegen die Zerstörung des Lechtals sind inzwischen auf deutscher Seite gesammelt worden. Und bei einem großen Symposium in Salzburg zum Thema „Alpen in Not“ wurde vom Österreichischen Alpenverein den Lechtalern volle Unterstützung beim Kampf gegen die E -Werkspläne zugesichert. Die Widerstände haben Wirkung gezeigt.

Die Bundesregierung in Wien hat eine umfangreiche Regionalstudie in Auftrag gegeben. Naturschützer kritisieren allerdings, daß sich die E-Werke in Reutte an der Finanzierung der Studie beteiligen. Sie stellen in Zweifel, daß es unter diesen Umständen wirklich zu einer objektiven Bewertung kommt. Über den Inhalt dieser Studie ist bislang nichts zu erfahren.

Doch es gibt noch einen Hoffnungschimmer für die Mitglieder der Initiative „Lebensraum Lechtal“. Der WWF (World Wildlife Fund) und das Österreichische Umweltministerium haben eine beeindruckende Tonbildschau zusammengestellt. Darin zeigen sie die Bedeutung des „europäischen Naturdenkmals Lechtals“, das nach Ansicht von Experten unweigerlich zerstört würden, wenn die Kraftwerkspläne verwirklicht würden. Die Diaschau wird seit kurzem in Österreich und Bayern bei Informationsveranstaltungen vorgeführt.

Heftig widersprechen die Mitglieder des „Lebensraum Lechtal“ dem häufig vorgetragenen Argument des E -Werksdirektors Josef Elkner, im Haupttal seien ohnehin keine Baumaßnahmen geplant und so könne von einer drohenden Zerstörung des Lechtals auch keine Rede sein. „Wo er noch unverbaut ist, ist der Lech ein Refugium seltener Pflanzen und Tierarten. Wenn man die Seitentäler verbaut, dann würde auch der Hauptfluß aus der Balance geraten“, argumentiert Norbert Kloiber von der Memminger Sektion des Alpenvereins. Kloiber widerspricht auch einem anderen Argument des E -Werksdirektors, der immer wieder sagt, Naturschützer müßten froh sein über die geplante Wasserkraftnutzung. Man könne schließlich nicht gegen Atomkraftwerke protestieren und dann gegen den Ausbau der Wasserkraft zu Felde ziehen. „Es ist doch völliger Blödsinn“, kontert Kloiber. „Die Stromgewinnung im Lechtal steht in keinem Verhältnis zur Zerstörung dieser einmaligen Wildflußlandschaft. Außerdem ist das Gerede mit der Versorgungssicherheit nicht stichhaltig. Die E-Werke Reutte wollen doch bloß ihre Gewinne anlegen - Strom gibt es jetzt schon im Überfluß.“

Zwei große Sorgen mischen sich in die leise Hoffnung, die nach der Diaschau und dem Beschluß, eine Studie zu erstellen, aufgekeimt ist: Immer mehr Touristen strömen ins Lechtal, das nur einen begrenzten Touristenstrom verkraften kann. Und bei manchen Lechtalern macht sich nach mehr als zweijährigen Kampf eine gewisse Ermüdung bemerkbar, die sich vor allem darin äußert, daß die Bereitschaft wächst, halbherzige Kompromisse einzugehen. Im Klartext heißt das, daß viele Aktive mit dem Gedanken spielen, einigen Kraftwerken zuzustimmen, um wenigstens einen Teil der Kraftwerkspläne zu verhindern.

Der Streit darüber reicht inzwischen bis hinein in die Familien. So kämpft beispielsweise Helmut Friedle aus Häselgehr (in Tirol) aktiv in der Initiative „Lebensraum Lechtal“ gegen die Kraftwerkspläne. Sein Bruder Anton dagegen will als Bürgermeister wenigstens in seinem Gemeindebereich ein Kraftwerk haben.

Erst kürzlich wurde bekannt, daß in einem Seitental erste Vorbereitungen für einen Schwellenbau getroffen worden sind. Ein Zusammenhang mit den Kraftwerksplänen besteht jedoch nach Angaben der Wasserwirtschaftsbehörden nicht, wurde den Alpenvereinsmitgliedern gesagt. Es handle sich um „ganz normale Wasserbaumaßnahmen“. „Wir trauen der ganzen Sache nicht“, wettern übereinstimmend Norbert Kloiber vom Alpenverein und seine österreichischen Mitstreiter, „und befürchten, daß hier vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen. Aber das lassen wir uns nicht gefallen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen