: Das D-Mark-Milliardending
Mit der Währungsunion wird sich die D-Mark-Geldmenge um etwa zehn Prozent erhöhen / Zentrales Problem in der DDR ist das Fehlen eines entwickelten „Systems der industriellen Beziehungen“ ■ Von Elmar Altvater
Der Count-down in der DDR läuft, gespannte Erwartungen richten sich auf die Zeit nach dem 2. Juli: Mit der D-Mark kommt die Kaufkraft, mit der Kaufkraft die Waren und mit den Waren der Wohlstand. Doch BerlinerInnen wissen: „Mit det Bezahlen vaplempert man det meiste Jeld„; wie lange halten die 4.000 D-Mark für 4.000 Ost-Ersparnisse, und wie lange können die Betriebe D-Mark-Löhne zahlen, mit denen die DDR -BürgerInnen wenistens einen Vorgeschmack des Westlebensstandards kaufen können?
Vor dem 2. Juli 1990 ist jedoch zunächst Positives angesagt. Aus den etwa 155 Milliarden Ostmark auf Sparguthaben der DDR-BürgerInnen werden bei einem Umtausch von etwa 64 Milliarden DDR-Mark zum Kurs von 1:1 und dem Rest von 90 Milliarden DDR-Mark 2:1 runde 110 Milliarden D -Mark. Später im Verlauf des Juli kommen die ersten D-Mark -Löhne und Gehälter hinzu, etwa in der Größenordnung von sieben bis acht Milliarden D-Mark. Was werden die DDR -BürgerInnen mit diesen liquiden Mitteln tun? Wenn sie alles sofort in einem Konsumrausch auf den Kopf hauen, erhöht sich die D-Mark-Geldmenge (im März 1990: 1.214 Milliarden D-Mark) um etwa zehn Prozent, die zu einer Jahresrate der Geldmengenausweitung von rund fünf Prozent hinzugezählt werden müssen. Folgt daraus ein Anstieg der Inflationsrate?
Dies hängt davon ab, ob Produkte aus der DDR, aus dem Wirtschaftsgebiet der BRD oder aus dem Ausland gekauft werden. Im ersten, günstigsten Fall verwandelt sich die Kaufkraft in einen Nachfrageschub für die DDR-Industrie, die damit leichter über die Runden kommen könnte. Im zweiten Fall würden die Preise in der BRD (und wegen der Einheitlichkeit des Währungsgebiets tendenziell auch in der DDR) steigen und mit ihnen die Zinsen. Wegen der Leitwährungsfunktion der D-Mark im Europäischen Währungssystem würde der Zinsanstieg über die westdeutschen Grenzen hinaus wirken. Im dritten Fall verringert sich der Handelsbilanzüberschuß der BRD (1989: 135,2 Milliarden D -Mark). Dies hätte sogar positive außenwirtschaftliche Effekte: Die Defizite anderer Länder würden geringer, sie müßten zu deren Finanzierung weniger Kredite aufnehmen, die Nachfrage nach Kapital würde sinken, und mithin könnte der internationale Zinsauftrieb gebremst werden. Produktive Investitionen, also ein Wachstumsschub, würden stimuliert.
Wahrscheinlich ist eine Mischung der drei Möglichkeiten, so daß Eindeutiges über die Folgen der Währungsunion schwer zu prognostizieren ist. Obendrein werden die DDR-BürgerInnen einen Teil der D-Mark nach dem 2. Juli schon aus Gründen der Vorsorge für unsichere Zeiten auf die hohe Kante legen, also erst gar nicht in den Konsumkreislauf schleusen. Da zu erwarten ist, daß in der DDR nicht sofort alle Preise auf das BRD-Niveau hochschnellen, wird ein größerer Teil des neugewonnenen konvertiblen Geldes in der DDR bleiben. Also alles bestens in Butter?
Das Beispiel Mezzogiorno
Der Bundesbankdirektor Leonhard Gleske geht schon seit Jahren mit einer Story um, die er in seine Vorträge einzubauen liebt: In einem EG-Gremium sprachen die „italienischen Kollegen mit Bezug auf die Entwicklungsprobleme des Mezzogiorno“ davon, „daß die Standortnachteile des Südens leichter zu überwinden seien, wenn sie über einen Wechselkurs ausgeglichen werden könnten. In einem politischen Staatsgebilde wie Italien stand eine solche Währungsgrenze gewiß nicht zur Debatte. Aber das Argument“, so fügt er hinzu, „belichtet doch die Probleme, mit denen eine Währungsunion konfrontiert wäre.“ Gleske verwendet diese Geschichte, um auf die vielen Nachteile zu verweisen, die mit der verfrühten Einführung der europäischen Währungsunion verbunden wären.
Ist das im Falle der Währungsunion zwischen BRD und DDR anders? In einigen Jahren kann man vielleicht von ihm oder einem anderen Bundesbanker den Stoßseufzer hören: Hätten wir doch bloß nicht die Währungsgrenze zwischen den beiden Deutschländern im Verlauf des Kohlschen Blitzanschlusses gleich mit überrannt!
Denn eine Währungsunion stellt monetäre Gleichheit her, auch wenn die Wirtschaftsgebiete so verschieden sind wie das der DDR nach 40 Jahren „Marterinstrument der Zwangswirtschaft“ (Helmut Schlesinger, Vize der Bundesbank) und das der BRD nach ebenfalls 40 Jahren „Segnungen der Marktwirtschaft“ (Gemeinplatz von 'FAZ‘ bis taz). 100 D-Mark sind 100 D-Mark, in den beiden Frankfurt, in Jüterbog, Buxtehude, in Britz oder am Prenzlauer Berg. Aber die Produktionsbedingungen zur Erwirtschaftung von 100 D-Mark sind nicht gleich. Wenn die Produktivität im Durchschnitt der DDR-Wirtschaft nur ungefähr ein Drittel der BRD -Produktivität beträgt, dann kann ein Unternehmer aus Frankfurt/Main ein Produkt für 100 D-Mark auf den Markt werfen, das seinen Konkurrenten in Frankfurt/Oder 300 D-Mark kostet.
Selbst wenn man die Transportkosten vom Main zur Oder kalkuliert, werden die BürgerInnen aus Eisenhüttenstadt sie müssen mit ihren D-Märkern ja knausern, auch wenn sie DDR-PatriotInnen sind - eher die Waren aus der BRD kaufen. Der Oder-Betrieb muß aber ab Montag, 2.Juli, Löhne, Soziallasten, Zinsen für die Betriebsschulden (Umstellung 2:1) etc. selbst erwirtschaften, und zwar in D-Mark. Wie soll dies aber geschehen, wenn er innerhalb des Währungsgebiets in der Konkurrenz nicht mithalten kann? Wenn nicht Subventionen gezahlt werden, und diese widersprechen den erklärten Absichten der Bundesbank, die als Herrin über die D-Mark in der DDR nach dem 2.Juli das Sagen haben wird, dann ist die Pleite unvermeidlich.
Mangelnde Effizienz
Vielleicht eine Überdramatisierung. Denn ein Teil des Produktivitätsrückstandes ist auf mangelnde Effizienz der Arbeitsorganisation, auf das schlechte Kommunikations- und Verkehrssystem oder auf unzureichende Dienstleistungen zurückzuführen. Die Produktivität in Frankfurt/Oder kann hochschnellen, wenn diese Hemmnisse beseitigt werden. Freilich wäre Zeit erforderlich, um die Anpassungen durchzuführen - und Zeit fehlt der DDR-Gesellschaft am meisten.
Könnte die DDR ihre eigene Währung behalten, wäre mit einem Wechselkurs von 3DDR-Mark zu 1D-Mark das Unternehmen von der Oder vor der mächtigen Konkurrenz vom Main vorübergehend zu schützen. Der Wechselkurs ist keine Garantie für Konkurrenzfähigkeit und Entwicklung, er erleichtert nur die notwendigen struktur- und modernisierungspolitischen Maßnahmen, die unbedingt Zeit benötigen. Die D-Mark kommt am 1.Juli im Austausch gegen die Zeit der Anpassung, die im neuen D-Mark-Reich unwiederbringlich verloren geht. Nach dem Währungsschnitt ist die Suche nach der verlorenen Zeit vergeblich und daher überflüssig.
Mit der D-Mark, so lautet das Versprechen, kommt auch Kapital. Westdeutsche Unternehmen werden in der DDR investieren. So wird es sein, doch auch im Mezzogiorno Italiens wurden von Unternehmen aus dem entwickelteren Norden (und von Staatsunternehmen) Produktionsanlagen errichtet, gefördert durch die Subventionen der „Cassa per il Mezzogiorno“. Resultat dieser Entwicklung waren die weit sichtbaren „Kathedralen in der Wüste“: moderne Unternehmen im Süden Italiens, die aber nicht mit der regionalen Wirtschaft vernetzt sind, sondern Exklaven der entwickelteren Ökonomie des Nordens in strukturell weniger entwickelter Region sind. So könnte es auch in der DDR geschehen, wenn der „rohe Kommunismus“ (Peter Ruben) von heute auf morgen, von der D-Mark beflügelt, in einen „wilden Kapitalismus“ überführt wird. Daran ändert auch der Sonderfonds „Deutsche Einheit“ mit seinen über 100 Milliarden D-Mark, verteilt über viereinhalb Jahre, nichts; er wird diese Tendenz eher stützen.
Fehlende „Kultur“
des Managements
Die niedrige Produktivität der DDR-Wirtschaft liegt ja nicht nur am technologischen Rückstand, an der verrotteten Infrastruktur oder der bürokratischen Überlast in den Verwaltungen. Das alles wäre zu korrigieren, und zwar in gar nicht so langer Frist. Aber es kommt noch ein anderer Grund für die niedrige Produktivität hinzu: die für die sozialen und ökonomischen Erfordernisse einer Konkurrenzwirtschaft mangelnde „Kultur“ des Managements, die für einen modernen Kapaitalismus unzureichende soziale Qualifikation vieler Arbeitskräfte, überhaupt das Fehlen eines entwickelten und stabilen „Systems der industriellen Beziehungen“ wie in den erfolgreichen kapitalistischen Gesellschaften.
Die BRD ist ja nicht allein wegen ihrer technischen Spitzenprodukte zum Exportweltmeister aufgestiegen; Blaupausen ließen sich leicht exportieren und auch in der DDR mit vergleichweise geringen Investitionen in die Realität eines postrealsozialistischen Systems verpflanzen. Doch ein modernes Management, eine Gewerkschaftsstruktur in Betrieben und Gesellschaft, ein System der Tarifverhandlungen und -verträge in Branchen und Unternehmen, die Qualifikation der Arbeitskräfte, die öffentlichen und privaten Dienstleistungen, die den Aufwand für die Organisation des täglichen Lebens minimieren, und daher trotz Arbeitszeitverkürzung viel Zeit für produktive Arbeit freimachen, das Sozialversicherungssystems und so weiter - all dies läßt sich nicht per Dekret wie die D-Mark zum Stichtag 2.Juli verbindlich einführen oder von einem Helikopter über der DDR einfach abwerfen.
Die Währungsunion wirkt wie eine Abrißbirne an einem Altbau. Danach ist tabula rasa und angesichts der Planlosigkeit und Unüberlegtheit über das, was danach kommt, scheint das Motto der Politik „Apres moi le deluge“ zu sein. Besser wäre es für die DDR-Gesellschaft gewesen, die Währungsunion abzuwehren und vor der „Beglückung“ mit der D -Mark zunächst notwendige soziale Reformen in Angriff zu nehmen. Aber gegen die den langjährigen Frustrationen geschuldeten Illusionen über die Einführung der D-Mark in der DDR-Bevölkerung und gegen die damit kühl kalkulierende Plattmachpolitik der Kohls wenige Wochen vor dem Stichtag anzugehen, dürfte vergebliche Liebesmüh‘ sein. Also kann nur versucht werden, das Schlimmste zu verhüten: Der Vertrag zwischen BRD und DDR muß ökonomisch, sozial und ökologisch nachgebessert werden: Wenn die Zeit der strukturellen Anpassung im Fall der DDR auf Null reduziert wird, dann müssen eben höhere finanzielle Kosten zur Abwendung der katastrophischen Wirkungen aufgebracht werden. Sonst werden die sozialen Kosten als politische Rechnung serviert - und die bezahlen mit Sicherheit weder Herr Kohl noch die Herren de Maiziere oder Meckel, sondern wir alle.
Der Autor ist Professor für Politische Ökonomie an der FU Berlin.
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