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Kolumbiens Wahl zwischen Gewalt und Reformen

Am Sonntag wählt Kolumbien einen neuen Präsidenten / Wahlkampf um Reformen des politischen Systems / Favorit ist der Liberale Cesar Gaviria, der eine militärische Lösung gegen den Drogenterrorismus verspricht / Aber auch er wird seine Beruhigungspillen brauchen  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Wie wird ein Arbeitstag des am Sonntag zu wählenden neuen kolumbianischen Präsidenten aussehen? Nach dem Frühstücksei erfährt das Staatsoberhaupt, eine paramilitärische Gruppierung habe im Nordwesten des Landes unter Mitwissen der lokalen Armeeverbände ein Dutzend Bauern massakriert. Um neun Uhr zünden die Kokainbarone eine Autobombe, es wird mit über 50 Toten gerechnet. Wenig später erklärt das Oberste Gericht eine Grundsatzentscheidung der Regierung für verfassungswidrig. Um elf Uhr ermorden Unbekannte einen Parteichef der Opposition. Nach dem Mittagessen fallen die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt, und gegen drei Uhr sprengen Guerilleros eine Ölpipeline. Am späten Nachmittag dann blockiert das Parlament das ohnehin schon entschärfte Agrarreformgesetz. Vielleicht überlegt sich der Präsident dann abends, ob er mit oder ohne Beruhigungsmittel schlafen soll. Von seinem Palais aus sieht der neue kolumbianische Präsident auf ein wachsendes soziales Chaos und wird nach Möglichkeiten suchen, der Gewalt beizukommen.

Für dieses Amt kandidieren nach mehreren Morden noch der Liberale Cesar Gaviria, die Konservativen Rodrigo Lloreda von der Bewegung zur Nationalen Rettung (MSN) und Alvaro Gomez von der Sozialkonservativen Partei (PSC), sowie der Ex -Guerillero der M-19, Antonio Navarro. Alle haben die Machtlosigkeit des Staates zu spüren bekommen. Nach der dritten Ermordung eines Präsidentschaftskandidaten erklärte der amtierende Präsident, der ebenfalls liberale Virgilio Barco, offen, er könne die Sicherheit der verbleibenden Bewerber nicht garantieren. Die Wahlen selbst sollen 230.000 Polizisten und Soldaten sichern.

Nur verständlich, daß die Vorschläge der Kandidaten so immer wieder um ein Problem kreisen: Wie kann der Staat sein längst beschädigtes Gewalt- und Machtmonopol festigen? In ihren gepanzerten und verschanzten Wohnungen kamen die Kandidaten zu einem ähnlichen Schluß: Um überhaupt über Instrumente zu verfügen, mit denen die Gewalt angegangen werden kann, müssen zuerst die Justiz und das politische System wieder funktionsfähig gemacht werden.

Der nach Umfragen aussichtsreichste Kandidat Cesar Gaviria wird wahrscheinlich beim Amtsantritt am 6.August diese Reformideen dem Kongreß vorstellen. Die eher freundlichen Gesichter der ParlamentarierInnen werden dabei nicht darüber hinwegtäuschen können, daß gerade die Legislative eines der Haupthindernisse für Reformen ist. Nicht moderne Parteien sind im kolumbianischen Kongreß vertreten, sondern Klientel -Gesellschaften der mächtigsten Familien des Landes. Ihr Interesse an Machtbeteiligung und ihrer Wiederwahl - und natürlich an allen parlamentarischen Privilegien - steht dabei im umgekehrten Verhältnis zu ihrem politischen Verantwortungsbewußtsein. Gewöhnlich wird im kolumbianischen Kongreß Politik nur dann gemacht, wenn es darum geht, soziale Reformen zu verhindern.

Da nicht abzusehen ist, daß das Parlament sich selbst reformieren wird, soll die Verfassung reformiert werden. So wird am Sonntag nicht nur der Präsident gewählt, sondern auch eine Volksbefragung über den Aufruf zu einer verfassungsgebenden Versammlung durchgeführt.

Für viele ist eine neue Verfassung zum Allheilmittel der Krise Kolumbiens hochstilisiert worden. Dabei streiten sich die Obersten Richter in dem schon immer legalistischen Kolumbien weiterhin darüber, ob eine verfassungsgebende Versammlung überhaupt verfassungsgemäß ist. Möglich, daß die Richter fürchten, althergebrachte Privilegien zu verlieren. Denn durch eine Verfassungsreform könnte das ganze Justizwesen neu aufgebaut werden.

Die kolumbianische Rechtsprechung ist nicht nur langsam und ineffizient, sie bricht auch längst unter der Vielzahl der Verbrechen zusammen. Von fast einer Million Straftaten im Vorjahr wurden allerdings nur 186.000 angezeigt. Und 95 Prozent aller Delikte, so die Statistiken, bleiben ungesühnt.

Die Kandidaten sind sich darin einig: Die Justiz muß modernisiert, endlich muß eine Staatsanwaltschaft eingeführt werden, die Beweislast muß in den Verfahren umgekehrt und genügend Finanzen bereitgestellt werden. Die Frage ist dann nur noch, wie an die Verbrecher zu kommen ist. Auch die Polizei und das Militär, so sagen viele Liberale, Konservative und Linke, müssen neu organisiert werden. Einer, der es wissen muß, der Ex-Guerillacomandante Antonio Navarro Wolf, fordert bessere Geheimdienste. Der liberale Cesar Gaviria will zudem einige bürgerliche Freiheitsrechte, wie das Briefgeheimnis, eingeschränkt wissen. Den Streitkräften soll im Kampf gegen die Drogenmafia größerer Spielraum eingeräumt werden - die „Freiheiten“, die sich die Armee ohnehin bislang genommen hat.

Große Reformen aber kosten Geld. Woher das kommen soll, hat bislang keiner der Kandidaten klar erklärt. Die für lateinamerikanische Verhältnisse noch stabile, aber wenig zukunftsträchtige kolumbianische Wirtschaft soll - wieder sind sich alle einig - durch eine vorsichtige Marktöffnung angekurbelt werden. Höhere Exporte und eine auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Industrie sollen neue Ressourcen schaffen.

Über eine „demokratische Aufteilung des Reichtums“, wie sie der Kandidat der ehemaligen Guerillabewegung M-19 vorschlägt, denken Liberale und Konservative dagegen bloß in Ansätzen nach. Statt dessen konzentrieren sich die Debatten im Wahlkampf auf die Frage, wie mit dem Drogenterrorismus umzugehen ist.

Anders als die übrigen Kandidaten, die für Verhandlungen plädieren, setzt Favorit Cesar Gaviria auf einen harten Kurs gegen die Kokainbarone und kündigt gleich seinen Sieg innerhalb von Monaten an. Selbst wenn er das schaffen sollte - ohne soziale Reformen werden früher oder später neue Bombenleger auf die Bühne der kolumbianischen Gewalt springen. Die Beruhigungspillen liegen auf dem Nachttisch des neuen Präsidenten bereit.

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