: Mit Wackelkurs von Sieg zu Sieg
Erfolg für die britische Labour-Partei bei Nachwahl / Neues Wahlprogramm besiegelt Sozialdemokratisierung der Linken / Reformen nur, „falls es die Mittel erlauben“ ■ Aus London Ralf Sotscheck
Die britische Labour Party liegt weiter auf Erfolgskurs. Bei einer Unterhausnachwahl in ihrer Hochburg Bootle bei Liverpool konnte sie am Donnerstag ihren Stimmanteil gegenüber dem Jahr 1987 um acht Prozent verbessern und gewann drei Viertel aller abgegebenen Stimmen. Die Konservativen landeten abgeschlagen bei neun Prozent. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, freute sich der Labour-Party -Vorsitzende Neil Kinnock.
Trotz des deutlichen Wahlsiegs und des großen Vorsprungs bei Meinungsumfragen ist sich die Labour Party eines Erfolges bei den nächsten Unterhauswahlen in zwei Jahren keineswegs sicher. Am Donnerstag veröffentlichte die Partei ein „Mini-Wahlmanifest“, das vor allem die WählerInnen der Mitte ansprechen soll. Damit wird die im vergangenen Jahr begonnene „Sozialdemokratisierung“ konsequent fortgesetzt.
Auf ihrem Parteitag im Oktober hatte sich die Labour Party zur freien Marktwirtschaft bekannt und sich von einseitiger Atomabrüstung und Verstaatlichungen der Industrien, die den Privatisierungen der Regierung zum Opfer gefallen sind, verabschiedet. Dennoch wehte noch ein Hauch von Sozialismus durch das Parteiprogramm, den es auszumerzen galt.
Es geht Neil Kinnock vor allem darum, den Ruf als „Gewerkschaftspartei“ abzuschütteln. So sieht das Manifest geheime Urabstimmungen bei Streiks vor und beschränkt Solidaritätsstreiks auf „direkt betroffene Unternehmen“. Diese Aktionen sollen von einem neu zu schaffenden Arbeitsgericht überwacht werden. Die Labour Party verspricht eine Erhöhung der Renten und des Kindergeldes sowie eine allmähliche Verbesserung des Gesundheits- und Bildungssystems.
Die Gelder dafür sollen durch eine Anhebung der höchsten Steuerklasse auf 59 Prozent aufgebracht werden - jedoch nur schrittweise, damit der Schock für die Großverdiener leichter verdaulich ist. „Wir werden nicht mehr versprechen und nicht mehr ausgeben, als Großbritannien sich leisten kann“, sagte Kinnock.
Von Vollbeschäftigung ist in dem neuen Manifest keine Rede mehr. Statt dessen heißt es, die Labour Party strebe nach einem „höchstmöglichen Beschäftigungsgrad“. Der hänge jedoch von der wirtschaftlichen Situation ab, die Kinnock durch Förderung von Privatinvestitionen und einen frühen Beitritt zum Europäischen Währungssystem verbessern will.
Zu klaren Aussagen läßt sich die Labour Party in ihrem Manifest jedoch nicht hinreißen. Die Alternative zur umstrittenen Kopfsteuer („Poll Tax“) bleibt vorsichtshalber unerwähnt. Das soll im Juli nachgeholt werden.
Wie ernst die Regierung den Rechtsruck der Labour Party nimmt, zeigt die Tatsache, daß noch am Donnerstag vier Kabinettsmitglieder vor die Fernsehkameras traten und das Manifest verurteilten. Damit findet sie jedoch wenig Anklang.
Selbst die Londoner Börse, die in der Vergangenheit stets übernervös auf Labour-Erfolge reagierte, hat nach der Wahl in Bootle ihr Wohlwollen signalisiert: Die Kurse gaben diesmal nicht nach.
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