: Nach dem Crash Hoffen auf den großen Boom
■ Das Ostberliner Institut für angewandte Wirtschaftsforschung prophezeit für die DDR einen bislang weltweit einmaligen Strukturwandel / Bundesdeutsche Ökonomen errechnen 1,5 Millionen Dauerarbeitslose für die Zeit nach dem 1.Juli / Schuldenerlaß für DDR-Betriebe?
Berlin (dpa) - Mit Einführung der Währungsunion zum 1.Juli kommt auf die DDR-Wirtschaft aller Voraussicht nach eine Roßkur zu, die in der Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel ist. Nach Überzeugung des Direktors des Ostberliner Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung, Konrad Wetzker, wird es in den nächsten Monaten kein anderes Land auf der Welt geben, dem ein größerer Strukturwandel bevorsteht als der DDR. Immer mehr Bürger, aber auch Fachleute schwanken zwischen Hoffen und Bangen, wenn sie an den Tag X denken.
Auf einem vom Heidelberger Institut für Management in Berlin veranstalteten DDR-Forum herrschte in einem Punkt Einigkeit: Seine eigentliche Bewährungsprobe hat der real noch existierende zweite deutsche Staat im ersten halben Jahr nach dem 1.Juli wohl ganz sicher zu bestehen.
Den DDR-Unternehmen prophezeit Prof. Hans-Joachim Dubrowsky von der Hochschule für Ökonomie (Ost-Berlin) drei Schocks: Zunächst einen Produkt-, Design- und Verpackungsschock, der bereits zu spüren ist. Joghurt „made in GDR“ beispielsweise vergammelt schon jetzt in den Tiefkühltruhen, weil bundesdeutsche Joghurts besser schmecken und gefälliger verpackt sind. Zweitens wird die Währungsumstellung einen Kostenschock bringen. Schlagartig sind die häufig viel zu teuer produzierenden DDR-Unternehmen dem weltweiten Preiskampf ausgesetzt. Drittens wird sich der mit durchschnittlich vier Prozent sehr niedrige Zinssatz verdoppeln. Die DDR, so Dobrowsky, muß zeitgleich und schnell drei Prozesse vollziehen: ihre bisherige Planwirtschaft auf eine Marktwirtschaft umstellen, ihr Territorium trotz extremer Unterschiede bei Produktion und Einkommen in einen deutschen Wirtschafts- und Sozialraum einbringen, und schließlich die bisher abgeschottete DDR -Wirtschaft in die EG integrieren.
Nach jüngsten Erhebungen arbeiten nur etwa 30 Prozent der DDR-Betriebe rentabel. 40 Prozent könnten nach einem schmerzhaften Anpassungsprozeß saniert werden. Ein Drittel aber gilt als konkursgefährdet. Das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Rüdiger Pohl, spricht deshalb auch von einer „Negativanpassung“. Die Frage lautet: Kommt nach dem Crash der von vielen vorhergesagte Boom?
Viele DDR-Beschäftigte werden im Zuge der Einführung der Marktwirtschaft ihren Arbeitsplatz verlieren. Nach einer Modellrechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), dessen Vorstand Pohl angehört, kann eine der bundesdeutschen Struktur angepaßte DDR -Wirtschaft nur 7,5 Millionen Menschen beschäftigen. Dies aber, stellt Pohl fest, würde eine strukturelle Dauerarbeitslosigkeit von 1,5 Millionen bedeuten.
Schon aus Kostengründen werden Unternehmen und Behörden gezwungen sein, ihren aufgeblähten Verwaltungsapparat abzuspecken. Auch die Auslagerung bisher selbst erstellter Dienstleistungen wird zunächst einmal Arbeitsplätze kosten. Das gilt auch für die notwendige Verringerung der Fertigungstiefe, die in der DDR 80 bis 100 Prozent erreicht. In bundesdeutschen Betrieben liegt der Anteil der Eigenproduktion deutlich niedriger - vielfach unter 40 Prozent. Andererseits eröffnet dies Chancen für eine neue mittelständische Zuliefererindustrie.
Um im Konkurrenzkampf nicht unterzugehen, brauchen die DDR -Unternehmen neue Technologien. Die kosten aber Geld. Viele DDR-Betriebe starten aber mit einer rotgefärbten Eröffnungsbilanz und wären nach bundesdeutschem Wirtschaftsrecht womöglich schon vor dem Neubeginn pleite.
Die bislang „volkseigene“ Wirtschaft war bei der Staatsbank per 31.Dezember 1989 mit 242,2 Milliarden DDR-Mark verschuldet. Auch nach einer Umstellung der Verbindlichkeiten im Verhältnis 2:1 bleibt noch ein riesiger Schuldenberg übrig.
Inzwischen mehren sich die Stimmen, die einen Schuldenerlaß fordern. Robotron-Chef Friedrich Wokurka beklagt, daß sein Gewinn fast vollständig an den Staat fiel. Für dringend benötigte Westimporte, die teuer im Verhältnis 1:4,4 gekauft wurden, habe er sich dann verschulden müssen.
Der Geschäftsführer der Volkswagen-IFA Pkw GmbH, Bernd Beltrame, kritisiert die Schuldenumstellung als unverantwortlich. „Damit gehen viele am 1.Juli in die Knie.“
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