Par. 218

■ betr.: "Ignorant in die Welt gezwungen", taz vom 18.5.90

betr.: „Ignorant in die Welt gezwungen“, taz vom 18.5.90

Es ist gut, über das Leid „unerwünschter“ Kinder zu berichten, wie dies Gerhard Amendt tut. Aber warum dann gleich das Kind mit dem Bade ausschütten, also der Abtreibung des Wort reden? Wir alle werden nicht nur „ignorant in die Welt gezwungen„; wir alle stehen auch unter dem Zwang von Leben und Tod. Ob durch eigene oder durch fremde Hand, Vernichtung ungeborenen, kranken, alten oder behinderten Lebens, das wäre in der Tat ignorant.

Bernd-Otto Kuper, Brüssel

Endlich mal die Veröffentlichung von jemandem, der die Sache auf den (auf einen der vielfältigen) Nenner bringt! Die Verquickung von Religion und Staat ist sehr dicht und unheilvoll: Es geht immer nur um das angebliche Heil der ungeborenen, aber nie der geborenen Kinder! Was die Kirche als „Seelenheil“ ausgibt, ist dem Staat als Kanonenfutter recht.

Abgesehen davon, daß die Fragestellung christlicher Schreibtischtäter: „Wann, bitteschön, beginnt das menschliche Leben, schon vor der Zeugung, in unkeuschen Gedanken oder erst mit der Verbindung Ei/Sperma“ oder medizinischer Alleswisserwoller: „Erst nach der Teilung oder in der vierten Woche?“ absolut daneben ist (das berühmteste Beispiel dieser Fragestellung ist der wissenschaftliche Streit um die Priorität der Henne oder des Eis), lassen diese Menschen völlig die Tatsache außer acht, daß ein Fötus nie ohne den Mutterleib wachsen kann (auch wenn die ganzen Genmanipulationen die Frau wegmanipulieren wollen), und damit eben auch das gesamte Seelen(un)heil der Schwangeren mitbekommt. Studien darüber gibt es in Mengen, aber keine Konsequenzen.

Man braucht nicht die Bücher der Schweizerin Alice Miller gelesen zu haben, um mitzubekommen, wie geborene, lebende Kinder hierzulande (und anderswo) behandelt werden. Man braucht nur die KlassenkameradInnen seiner Kinder beziehungsweise noch besser, seine eigenen Kinder oder für ganz Abstinente, die Kinder seiner Geschwister etc. pp. anzusehen, um zu spüren, wie der Untertanengeist sprich Faschismus sprich Unmenschlichkeit sprich Gefühllosigkeit einhergeht und aus kleinen Menschen Monster macht.

Es war schon immer bequem, die Schwächsten der Gesellschaft wegzubügeln. Das Dumme ist nur, daß aus den mißachteten Kindern später unsere sogenannten Politiker hervorgehen, die nix Besseres zu tun haben, als sich für die einstige Mißachtung zu rächen, indem sie jetzt „das Beste aller wollen“.

Doris Stumpp-Broszat, Berlin

Immer wieder bin ich verwundert, wie die Diskussion um die gezeugten, aber noch ungeborenen Menschen geführt wird. Die einen rufen nach dem erlaubenden Gesetz (die Gezeugten abzutreiben), die anderem nach dem verbietenden (die Gezeugten nicht abzutreiben). Eine Diskussion unter erwachsenen, autonomen Menschen? Hüben wie drüben das Gezänk von Töchtern und Söhnen Gebliebenen, die gezeugt haben, und nun Mamapapa brauchen, um gesagt kriegen zu können, was sie tun dürfen oder nicht tun dürfen. (...)

Ich möchte endlich einmal irgendwo lesen, daß die Diskussion, solange sie so geführt wird, wie sie geführt wird, keine Lösung bringen kann, da sie - Kinderstubengezänk - keine fruchtbaren(!) Fragestellungen zuläßt. Einen ersten Ansatzpunkt bietet jetzt offenbar die Essenz der Studie von Gerhard Amendt.

Jedoch nicht erst, weil nun endlich erforscht, bewiesen und belegt ist, „daß die psychischen Leiden unerwünscht geborener Kinder vielfältig, zerstörerisch und vor allem lebenslang wirken“ wird, ist „ein Perspektivenwechsel in der Diskussion über die Abtreibung zwingend erforderlich“. Ein Perspektivenwechsel kann in der Zeit der Atomwaffen nur dahin gehen, daß klar wird: Solange Abtreibung als zu entscheidende Möglichkeit gedacht wird, ist das Denken nicht frei von Gewalt, Angst, Lüge, Machtmißbrauch. Die auch von Amendt durch seine Perspektivenwechselforderung nicht in Frage gestellte Forderung nach Schutz des „zu gebärenden“ Lebens setzt im Verlauf des Geschehens zu spät an: Auch das noch zu zeugende Leben ist zu schützen! (Immer noch zu spät: Auch das schon gezeugte und geborene Leben der Zeugenden ist zu schützen! d.sin)

Der Schutz des Lebens erfordert als Basis eine persönliche Haltung der grundsätzlichen Bejahung des eigenen Lebens, welche die Bejahung der eigenen Sexualität elementar beinhaltet, wie auch die Bejahung der allem Lebendigen innewohnenden Kräfte. Ein echtes Ja ist offen, ist frei von Angst, Gewalt, Lüge, es ist „Urvertrauen“. Die Entwicklung der Fähigkeit, Menschen von ihrem Ursprung an zu lieben, Kinder zu lieben, geschieht dann von allein und ist elementar. Dies in Gang zu setzen, ist eine Forderung an beide Geschlechter.

Hier liegt auch der Schwachpunkt der von Amendt vertretenen Position: Sie bleibt frauen-, mütter-, marienidealorientiert, wenn sie auch feststellt, daß „die Idealisierung der Mutter als eine tiefverwurzelte Illusionsbildung beendet“ werden muß, um „politisch und psychisch befreiend“ sein zu können. Was ist mit der Idealisierung der Väter? Wo bleiben in der Öffentlichkeit der Schmerz und die Trauer der Männer, die nicht Vater werden können, weil die Frau auf Abtreibung entschied? Daß Frauen eine Abtreibung auch als Machtmittel gegen Männer einsetzen, wird bisher kaum gesehen. (Wie wär's, wenn diese Männer a) vorher mit ihren Partnerinnen darüber sprechen und b) sich eben Frauen suchen, die bereit sind, mit ihnen Kinder zu haben? d.sin)

Wir brauchen keine Abtreibungsdiskussion. Wir brauchen eine Diskussion um das zu zeugende und zu gebärende Leben, eine Diskussion um den Ort, da Leben seinen Ursprung hat: den Zeugungspunkt. Und in diese Diskussion muß endlich, zeitgemäß, das gewaltfreie, angstfreie, lügen- und machtfreie Denken einfließen. (...)

Mareile Raisin, Oldenburg