: EINE GROSSE SHOW FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT
■ Was man in Bayern unter Sozialtherapie versteht
Blödsinnigerweise bekam ich im Knast von Straubing mal ein Info-Blättchen über die sozialtherapeutische Vollzugsanstalt Erlangen in die Finger. Nachdem ich ja schon einige Vorstrafen habe und auch schon vorher mal im Knast war, hab ich mich ganz begeistert dorthin beworben, da ich der Meinung war, daß mein Leben in anderen Bahnen verlaufen sollte.
Zuerst wurde mein Ansuchen abgelehnt, da die Therapiezeit in der Regel 18 bis 24 Monate beträgt (laut Auskunft) und der Probant anschließend entlassen werden soll. Hierzu war jedoch meine Strafzeit zu lange. Also hab ich schön brav gewartet und mich später abermals beworfen, worauf man mich dann auch in Gnaden aufnahm.
Über das ausgefeilte Dressurprogramm, das hier als „Therapie“ verkauft wird, will ich mich gar nicht erst auslassen. Nur soviel: Obwohl ich mir während meines Aufenthaltes hier nichts zuschulden habe kommen lassen und den ganzen Zirkus brav mitgemacht habe, bin ich nunmehr seit 31 Monaten hier! Dummerweise habe ich nämlich immer noch eine eigene Meinung und sag die auch noch ganz offen. Und das Schlimmste: Ich beschwere mich auch schon mal, wenn irgend etwas ungerecht oder falsch ist.
So soll einem hier zum Beispiel bei der Schuldenregulierung geholfen werden (laut ihrer Programmzeitschrift), bloß hat das bei mir niemand gemacht. Übrigens auch bei niemand sonst, den ich kenne. Hätte ich mich nicht selber darum gekümmert, liefe mir immer noch der Gerichtsvollzieher nach.
Seit August 1989 arbeite ich ja nun als Freigänger bei einer Firma draußen und seit 1. Januar 1990 verdiene ich ein normales Gehalt. Davon werden mir allerding monatlich zirka 400 DM als „Haftkostenbeitrag“ einbehalten. Verpflegen muß ich mich tagsüber selber, wofür ich immerhin täglich zwölf DM von meinem eigenen Geld ausgeben darf.
Obwohl ich keinem Menschen gegenüber Unterhaltspflichten habe, wurde meine Rücklage willkürlich auf 1.500 DM festgesetzt. Und das, obwohl ich laut Gesetz nur 1.167 DM ansparen müßte. Der wahrscheinliche Grund: Ich wollte meiner Verlobten, die derzeit arbeitslos ist, 300 DM überweisen lassen. Immerhin wohne ich mit ihr in einer gemeinsamen Wohnung und verbringe jeden Ausgang und Urlaub bei ihr. Jedenfalls durfte ich ihr letzten Monat kein Geld überweisen und so hab ich es halt diesen Monat wieder probiert. Denkste! Kaum hatte ich den Antrag geschrieben, wurden zuerst mal ganz schnell die „Haftkosten“ abgezogen. Anschließend waren zwar noch 785 DM freies Eigengeld übrig, aber der Anstalsleiter hat gemeint, daß ja für den Monat April auch noch Haftkosten fällig werden und deshalb geht es wieder nicht.
Ein anderer Gefangener mußte zuerst mal 50 DM vorzeigen, bevor er zu seiner Freundin in Urlaub durfte, weil er ihr ja im Urlaub „nicht auf der Tasche liegen soll“. Ich darf meine Verlobte nicht unterstützen, obwohl sie es derzeit notwendig braucht.
Das ist nur ein Beispiel von vielen, aber es hat mich ganz besonders geärgert. So einen bodenlosen Schwachsinn als Sozialtherapie zu verkaufen, ist der Gipfel der Unverfrorenheit und gehört einfach angeprangert!
Was hier abläuft, ist nichts als eine große Show für die Öffentlichkeit und eine noch größere Verarschung von uns Knackis. Bei einem kleinen Blick auf die „Versager- und Rückfallquote“ fällt das sogar dem Dümmsten auf!
Engelbert, Erlangen
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