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Nischengesellschaft auch für Pflanz und Tier

■ Den Superlativen bei der Umweltzerstörung in der DDR stehen andere beim Überleben seltener Pflanzen und Tiere gegenüber / Reservoire für das Überleben gefährdeter Flora und Fauna sind neben Truppenübungsplätzen auch Sonderjagdgebiete

Berlin (dpa) - Vielleicht würden sie ja mit Hörgeräten überleben, die Mäuse auf den Feldern entlang den Autobahnen in der DDR. So aber werden sie, vom Motorenlärm taub geworden, leichte Beute der zahlreich kreisenden Rauhfuß und Mäusebussarde, deren Schwingenschlag die Nager nicht mehr rechtzeitig wahrnehmen. Zahl und Wildheit der majestätischen Greifvögel stehen für ein anderes Erbe des zweiten deutschen Staats, das vor dem Horrorgemälde industrieverseuchter und zerstörter Landstriche in den Hintergrund rückt: unberührte Naturlandschaften mit einer zum Teil einmaligen Tier- und Pflanzenwelt, allerdings meist abseits der Autobahnen.

Berichte über den Zustand der Umwelt jenseits der Elbe verkünden dem Bundesbürger meist Hiobsbotschaften und schauerliche Zahlen. Gut zwei Millionen Tonnen Staub und fünf Millionen Tonnen Schwefeldioxyd blasen die Braunkohlekraftwerke der Bezirke Halle und Leipzig, Cottbus und Dresden in die Luft. Unterstützt werden die Dreckschleudern dabei von der veralteten Chemieindustrie und den Produktionszentren im oberen Elbtal, im Erzgebirgsvorland sowie im Thüringer Becken. Nirgendwo sonst in Europa ist die Luft ähnlich bleiern und schwer zu atmen.

Solchen Superlativen bei der Umweltzerstörung stehen überraschend andere beim Überleben seltener Pflanzen und Tiere gegenüber. 140 Brutpaare des Seeadlers machten die DDR im vergangenen Jahr ein weiteres Mal zur bedeutendsten Wiege dieser Fisch- und Entenjäger in Mitteleuropa. Hauptverbreitungsgebiet ist der Bezirk Neubrandenburg, wo sich einige Paare seit langem Theodor Fontanes Stechlin-See zur Heimat gewählt haben.

Die „Nischengesellschaft“, die einst Bonns Ständiger Vertreter in Berlin, Günter Gaus, für die DDR konstatierte, gilt auch für Flora und Fauna. Zwischen staatlich geförderten Industrien, wuchernden Plattenbau-Städten und chemiegesättigten Äckern haben sich erstaunlich viele Arten gehalten, die in der Bundesrepublik entweder gar nicht mehr oder weitaus seltener vorkommen. So tummelten sich im vergangenen Jahr schätzungsweise 2.500 Elbebiber, 500 Fischotter und 200 Wildkatzen in den beiden großen Naturräumen des nördlichen Tieflands und der südlichen Mittelgebirge. Von dem in der Bundesrepublik gar nicht vertretenen Schreiadler und Seggenrohrsänger wurden im letzten Jahr 80 beziehungsweise 30 Brutpaare gezählt. Selbst an hochgradig durch Abwässer belasteten Seen haben noch Sonnentau, Lungenenzian und Weiße Seerose überlebt.

„Das größte Plus für den Naturschutz war, daß der Staat nicht mehr Kapital zur Verfügung hatte“, seufzt Matthias Freude, Leiter des Referats Arten- und Biotopschutz im Berliner Umweltministerium. „Sonst wäre noch mehr Landschaft zersiedelt worden.“ Als wahrer Glücksfall entpuppen sich jetzt die Truppenübungsplätze, militärischen Sperrbezirke und Sonderjagdgebiete der ehemaligen SED-Prominenz ökologische Nischen, zum Teil mehrere hundert Hektar groß. „Da war zumindest Ruhe drin“, sagt der gelernte Zoologe Freude. Und an den relativ seltenen Lärm von Panzern oder Maschinengewehren können sich Tiere gewöhnen, wie auch Beispiele in der Bundesrepublik zeigen.

Im Zuge des laufenden Konversionsprogramms zur Umstellung von militärisch Genutztem auf zivile Zwecke ist gerade der 20.000 Hektar große sowjetische Truppenübungsplatz Lieberose, knapp zwei Autostunden südöstlich von Berlin im Bezirk Frankfurt/Oder, wieder in zivile Hände gelangt. Freude: „Da gibt's noch 6.000 Hektar Heidelandschaft - ideal für Offenbrüter wie Brachvögel, Heidelerche und Ziegenmelker.“

Der Umweltschutz, als Staatsziel höchstwahrscheinlich Bestandteil eines geänderten Grundgesetzes, ist seit langem in Artikel 215 der DDR-Verfassung festgeschrieben. Genützt hat dies wenig. „Den Naturschutz haben früher ganze zwei Mann abgedeckt“, erzählt Freude. Die saßen im Landwirtschaftsressort, wo eine Agrarpolitik betrieben wurde, die mit dazu geführt hat, daß heute pro Quadratmeter Ackerfläche im Schnitt nur noch vier bis sieben Regenwürmer statt wie früher einige hundert gezählt werden.

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