: Geschwisterliche Besichtigung
■ Vier AutorInnen aus der polnischen Partnerstadt Gdansk in Bremen zu Gast
Milde Blicke gehen hin und her, beschwichtigende Zeichen, bittedanke, Tee, für mich Kaffee, Fragen, Antworten umflattern sich, Aufregung, Lächeln, bittesehr; allseits botschaftern wir, der guten Sache zu Diensten, und prosten uns Aufmerksamkeiten zu. Am großen Redaktionstisch ist ein literarisches corps diplomatique versammelt, drei Frauen, ein Mann. Sonst schriftstellen sie in Gdansk, der Stadt, die einmal „großes Freundschaft gemacht hat mit Brämenn“, so sagt es Jerzy Afanasiew, und jetzt sind sie hier, seit ein paar Tagen, geladen vom Schriftstellerverband (VS), Abt. Bremen, und schauen sich um, ob sie außer der großen auch die kleine Freundschaft machen können: Afanasjew, der TV-Regisseur und Überallesschreiber, Krystyna Lars und Bozena Ptak, zwei Lyrikerinnen, und Janina Wieczerska mit dem freundlich gehäkelten Lächeln, ein wirkliches perpetuum mobile der Literatur, zugleich Verfasserin von und Dozentin für.
Undsoschön, sagen sie, und menschgemäß ist die Stadt Brämenn, und nicken mir zu, als hätte ich sie gestern gebaut, die Stadt, und am Feierabend noch „das liebliche paysage“ drumrum bepflanzt. Ich weiß nicht, was sie denken, die vier, die so wohlwollende Blicke werfen auf alles, daß, wo sie hingefallen sind, bestimmt bald Blümchen blühen. Haben sie schon was geschrieben, seit sie hier sind? O diese Frage! Jaja und doch wieder nein, mur
melt es, „Notizen“, sagt allerknappst und verschämt Bozena Ptak; das geht an den Beruf, schnell sind sie, die großen Seelen mit Geschwisterwunsch, da wieder ganz einzeln. Auch sei, heißt es, zum Schreiben kaum Zeit, erst gelte es, die aufgelaufene Weltneugier zu sättigen.
Womit? Jerzy Afanasjew ist zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Seine beiden Eltern sind von den Nazis ermordet worden. Er hatte Angst, sagt er, vor diesem Land. Und nun? „Keine mehr. Nein.“ So ganz anders kommen ihm die Deutschen vor, anders als, sagt er, die Propaganda sie an die Wand gemalt hat. Und jetzt, wo sie besoffen durch alle Öffentlichkeit taumeln, die zwei Deutschländer, und schon wieder anschwellen, was denkt er da? „Ich freue mich“, sagt Jerzy Afanasjew, sagt was über Vaterländer und, auf die Frage, ob es ihm nicht doch etwas zu schnell gehe: „Nein. Nicht zu schnell. Nicht schnell genug.“ Ich muß ein wenig auf dem Stuhl ruckeln. Und die anderen? Janina Wieczerska, kann sie, sagen wir mal: die Deutschen verstehen? Da fältelt sie wieder ihr Lächeln um die Augen und reicht mir die Frage zurück. „Können Sie selber das? Wieso sollen wir?“ Aber, sagt schnell über mein Schweigen hinweg Krystyna Lars, was sie beträfe, ihr erster Eindruck sei vorteilhaft, durchaus, ließe glauben an eine Verständigung.
Da ist er wieder, dieser Blick von geradezu amtlicher Verbindlichkeit, aus großen Augen, glaubeliebehoffnungsvoll und ausdrücklich arglos. Manchmal ist mir fröstelig zumute, weil sie mich so hartnäckig ihres Wohlwollens versichern, weil sie so ins Leere appeasement betreiben.
Und zuhause, in Gdansk? Da
haben sie liebe Not, weil die Leute anderes im Kopf haben als grad Literatur, „vorübergehend“ ist das so, sagt Frau Wieczerska. Früher, da waren die Kirchen immer voll, wenn die Opposition las; da war die Literatur allgemein, heute ist es die Armut, und Bücher sind teuer geworden. Aber letzten Endes, was soll der Mensch ohne diese? Sie, Janina Wieczerska, wird nun keine „Zeitromane mehr schreiben“, sie wird, sagt sie, „neu anfangen, für die Jugend schreiben, das ist jetzt am wichtigsten.“ Wenn sie nicht schreibt, sitzt sie der Ortsgruppe Gdansk des neuen Schriftstellerverbandes vor.
Was ist neu am neuen Verband? Die Frage macht ein bißchen ratlos. Es ist eben der neue; hervorgegangen aus dem „Underground“, sagt Frau Wieczerska, aus der Opposition gegen das Kriegsrecht. Da gibt es noch den alten „Restverband“ und ein von diesem abgesplittertes Häuflein, zusammen also drei Literatengruppen, und zwischen allen herrscht, wie es aussieht, Erbitterung und Streit.
Das eine muß ich schon noch fragen, nämlich ob sie sich freuen auf den Kapitalismus in Polen, und tatsächlich gelingt es mir, sie damit in die lebhafteste Debatte zu schubsen. Da habe ich sie endlich vor mir, die Anthologie von Leibhaftigen. So soll es sein, wenn solche, die schreiben, zusammenkommen.
scha
Alle vier sind, zusammen mit anderen AutorInnen aus Gdansk und aus Bremen, mit Schaffensproben vertreten in der zweisprachigen Anthologie „Mit Fischen leben...“, 1989 erschienen in der Edition Temmen, Bremen.
Am kommenden Sonntag stellen sich die vier Gäste in einer Matinee auf der Breminale vor, um 11.30 im Cafe Sand.
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