Welches Wirtschaftssystem kommt nach der Apartheid?

In Südafrika debattieren ANC und Geschäftsleute über die Wirtschaftsorientierung in einem zukünftigen demokratischen Staat / Wachstum oder Umverteilung? / Während sich die Unternehmer mit dem Konzept einer gemischten Wirtschaft allmählich anfreunden, beginnt die Regierung mit dem Verkauf von Staatsbetrieben  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Von einer historischen Konferenz war die Rede, als sich 40 Vertreter des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) letzte Woche in Johannesburg mit mehr als 300 führenden südafrikanischen Geschäftsleuten trafen, um über die Wirtschaft eines zukünftigen demokratischen Südafrikas zu sprechen. Nachher waren beide Gruppen um positive Stimmung bemüht. Man lobte sich gegenseitig für die Gesprächsbereitschaft: dies werde nicht das Ende des Dialogs sein.

Hinter verschlossenen Türen äußerte sich Murray Hofmeyer, führender Industrieller und einer der Organisatoren der Konferenz, allerdings „entsetzt über die massiven Probleme“ zwischen ANC und Geschäftswelt.

Mit Begriffen wie Umverteilung, Privatisierung, Nationalisierung, Sozialismus oder Kapitalismus wird der Streit geführt. Aber der Kern ist eine unterschiedliche Auffassung des Ziels wirtschaftlicher Aktivitäten. Für ANC und Gewerkschaften gilt es, die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Arbeit, Ausbildung, Behausung und gesundheitlicher Versorgung zu befriedigen. Für die Konzernbosse steht nach wie vor ein einziges Ziel im Vordergrund - die Profitmaximierung.

Das geben aufgeklärtere Geschäftleute sogar zu. „Wir in der Geschäftswelt sind besessen von nur einem Bestandteil des Reichtums, der produziert wird - nämlich dem Profit, der unterm Strich herauskommt,“ sagt Bob Tucker, liberaler Direktor der Bausparkasse „The Perm“. Dabei würden andere Aspekte wie Ausbildung, LÖhne oder persönliche Befriedigung ignoriert. Tucker macht dafür allerdings nicht das kapitalistische System als solches, sondern die besonders starke Konzentration wirtschaftlicher Macht in Südafrika verantwortlich.

Wie stark diese Konzentration ist, und wem sie zugute kommt, erklärte ANC-Vizepräsident Nelson Mandela letzte Woche den Geschäftsleuten. Weniger als zehn Konzerne kontrollierten über 90 Prozent der an der südafrikanischen Börse gehandelten Aktien. „Wahrscheinlich sitzen weniger als 1.000 Menschen in den Leitungen dieser Konzerne,“ sagte Mandela. „Und das sind fast ausschließlich weiße Männer.“ Zusammen mit der Tatsache, daß 87 Prozent des Landes gesetzlich für Weiße reserviert seien und sogar von einer Minderheit der Weißen kontrolliert würden, zeige dies, wie kraß die Ungleichheiten des derzeitigen Systems in Südafrika seien.

Aber die Geschäftsleute haben seit einigen Jahren begriffen, daß die Zeiten der Riesenprofite, der rücksichtslosen Ausbeutung der billigen Arbeitskraft schwarzer Arbeiter vorbei sind. Die Entwicklung starker Gewerkschaften der schwarzen Arbeiter, Sanktionen und internationale Isolierung haben dafür gesorgt, daß Apartheid sich nicht mehr rentiert.

Hinzu kommt, daß die Verzerrung der Wirtschaft zugunsten der Weißen jahrelang den südafrikanischen Markt künstlich eingeschränkt hat. Und der weiße Markt ist gesättigt. Nur schwarze Käufer können für Wachstum sorgen. Aber ein Arbeiter, der weniger als 1.000 Rand (etwa 650 Mark) im Monat verdient und in dessen Township-Haus es keinen Strom gibt, wird sich keinen Kühlschrank kaufen. So sind Wirtschaftvertreter seit einigen Jahren bereit, über eine Korrektur wirtschaftlicher Ungleichheiten nachzudenken.

Es gibt breite Übereinstimmung, daß die grundlegenden Probleme in den schwarzen Wohngebieten Arbeitslosigkeit, Armut und nicht zuletzt der Mangel an Infrastruktur sind. Aber über den Weg, wie diese Probleme zu lösen sind, gibt es scharfe Differenzen.

ANC und Gewerkschaften schließen die Verstaatlichung von Monpolbetrieben, vor allem der großen Bergbaubetriebe, nicht aus.

Für Industrie und Handel ist der Begriff Verstaatlichung ein rotes Tuch. „Indem sie an diesem altmodischen Begriff festhalten, fördern sie den naiven Glauben, daß die bloße Übernahme duch den Staat wie ein Wunder Reichtum bringt und Ungleichheiten umkehrt“, heißt es in einer Erklärung der Minenkammer, dem Arbeitgeberverband der Bergbaukonzerne. „Der einzige, Weg, das Einkommen und damit den Reichtum aller Südafrikaner zu vergrößern, ist wirtschaftliches Wachstum.“

Wachstum statt Umverteilung - das ist die Standardantwort der Konzernchefs. „Reichtum schaffen, statt Reichtum umzuverteilen“, wie Gavin Relly, ehemaliger Chef des riesigen Bergbau- und Mischkonzerns Anglo American es formuliert. Dahinter verbirgt sich die Angst der Weißen, daß ihr Reichtum von einer schwarzen Regierung beschlagnahmt und an Schwarze verteilt werden könnte. Selbstverständlich wünscht sich auch der ANC ein gesundes Wirtschaftswachstum. Aber Wachstum alleine ist nicht genug. „Für diejenigen, die aufgrund ihrer Rasse benachteiligt sind, ist eine beeindruckende Wachstumsrate irrelevant, wenn die Früchte des Wachstums auf dieselbe alte Art verteilt werden“, meint Joe Slovo, Generalsekretär der südafrikanischen Kommunistischen Partei. Befreiung sei nur von Bedeutung, wenn diese alten, durch Rassenunterschiede bestimmten Strukturen zerstört würden. „Ohne eine Form der staatlichen Intervention kann dieser Prozeß nicht in Gang kommen.“

Diese bittere Pille haben Geschäftsleute inzwischen geschluckt. Es sei jetzt anerkannt, daß Südafrika in Zukunft eine gemischte Wirtschaft haben werde, meinte Anglo-American -Chef Relly letzte Woche. Offen bleibe aber die genaue Zusammensetzung der Mischung.

Südafrikas Regierung unter Präsident Frederick De Klerk hat wiederholt deutlich gemacht, daß sie in der Debatte um die wirtschaftliche Zukunft des Landes auf seiten der Geschäftsleute steht. Das wird nicht zuletzt durch die umfangreichen Privatisierungspläne der Regierung demonstriert. Der staatliche Stahlkonzern Iscor ist schon verkauft worden, und Vorbereitungen für Eisenbahn und Stromnetz sind längst in Angriff genommen.

Regierungssprecher berufen sich auf angebliche Erfolge der Privatisierung britischer Staatsbetriebe unter Margaret Thatcher. Aber sie geben auch zu, daß sie die Macht einer zukünftigen schwarzen Regierung einschränken wollen. Diese Staatsbetriebe spielen gerade in den Bereichen der Infrastrukur, in denen Schwarze in der Vergangenheit vernachlässigt wurden, eine zentrale Rolle. Eine Ausweitung ihrer Dienste in den Townships wird kaum im Profitinteresse privater Monopole sein. Trotz vehementer Kiritik der Gewerkschaftsföderation Cosatu und des ANC hat die Regierung ihre Pläne allerdings nicht aufgegeben.

Die Debatte über die zukünftige Wirtschaft Südafrikas befindet sich allerdings noch in den Anfängen. Erst die Ereignisse der letzten Monate haben ANC und Geschäftsleute dazu gezwungen, sich konkrete Gedanken über veränderte Strukturen zu machen. Dennoch ist diese Debatte genauso wichtig wie die Diskussion politischer Veränderung. „Wirtschaftliche Umstrukturierung muß parallel zum Aufbau eines neuen, demokratischen Staates in Südafrika geschehen“, sagt Cosatu-Wirtschaftsexperte Alec Erwin. „Wenn die Mehrheit nicht effektiv regieren und von der Wirtschaft profitieren kann, werden wir in materielle Ungleicheit und Repression zurücksinken.“