: Abschied vom „Breilibü“
■ Was StudentInnen wissen, aber manche Grüne nicht
Breilibü ist ein politisches Auslaufmodell ohne Zukunft. Zumindest an bundesdeutschen Hochschulen. Das Dach des breiten linken Bündnisses, die Vereinigten Deutsche Studentenschaft (VDS), steht deshalb kurz vor dem Einsturz.
Die letzten noch halbwegs tragenden Balken, MSB Spartakus und SHB, sind durch die Erschütterungen im Osten morsch geworden. Und die Jusos wollen das Ganze nicht länger durch ihr Mittun stabilisieren.
So soll sie denn dahingehen, die VDS, von deren Existenz die meisten StudentInnen ohnehin nichts wußten. Mit ihrem Alltag nämlich, den übervollen Hörsälen und unverschämt teuren Wohnungen, hatte dieses „Organ“ ebensowenig zu tun, wie mit ihren Wünschen und Ängsten, den Berufsaussichten im offenen Europa etwa oder den möglichen Folgen der ökologischen Krise für ihre Zukunft.
Bei den Grünen, denen ja noch immer die Sympathie vieler junger Menschen inner- und außerhalb der Hochschulen gehört, scheint die historische Überlebtheit von „Breilibü“ einigen zu entgehen. Angesichts des drohenden Untergangs im nationalen Strudel setzen sie - wie so oft in den letzten zehn Jahren - auf Burgfrieden, auf Unter-den-Teppich-Kehren, auf gegenseitige „Rücksichtnahme“: Keine Strömung tue der anderen weh, dann wird's schon gehen. Schließlich stehen jetzt Wahlen an.
Mag sein, daß Burgfrieden aus wahltaktischer Sicht das Gebot der Stunde ist. Aber ich gebe zu bedenken, daß Burgfrieden auf die WählerInnen der Grünen, vor allem die jungen, auch wie Friedhofsruhe wirken kann. Es stehen jetzt Fragen im Raum, deren Beantwortung nicht einfach auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben sind: Wie halten's die Grünen mit der Ökologie, mit Europa, mit dem Leitbild einer zivilen Gesellschaft? Wieviel ideologische Altlast aus den 70ern sind sie bereit aufzugeben?
Die Verkleisterung von Widersprüchen und Formelkompromisse um des lieben Friedens willen sind typische Symptome von Altparteien, in denen die Apparate den Ton angeben. Wenn den Grünen das Stigma der Immobilität erst einmal anhaftet, dann ist ihre Attraktivität bei all jenen dahin, die sich gerne und undogmatisch neuen Fragen öffnen: vor allem also bei jungen Menschen.
Der Versuch einer Neupositionierung der Grünen in der gesamtdetuschen Parteienlandschaft ist deshalb kein Ausgrenzungsmanöver gegenüber irgendeiner Strömung, sondern eine schlichte Überlebensnotwendigkeit. Wer das in Abrede stellt und nur gebetsmühlenhaft den „Gründungskonsens“ aus den Jahren 10 bis 12 nach 1968 herunterleiert, der setzt über kurz oder lang die Existenz der Grünen aufs Spiel. Es kann nicht sein, daß die ganze Welt sich bewegt und die Grünen im Alten verharrten. Dazu ist dieses Projekt zu wichtig.
Womit wir beim Hauptunterschied zwischen VDS und Grünen wären: Auf eine zum Fossil gewordene und schlecht organisierte Lobby kann getrost verzichtet werden, auf eine Partei, die im Kern eine Jahrhundertbwegung ist, vorläufig nicht.
Also: Raus aus dem Breilibü, rein in die Gesellschaft!
Reinhard Loske
Der Autor war bis zum Wochenende Landesvorstandsmitglied der NRW-Grünen.
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