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Über allen Gipfeln ist... Deutschland

■ Beim Treffen von Bush und Gorbatschow in Washington ist das künftige Deutschland beherrschendes Thema

Wenn sich heute die Staatschefs der beiden Supermächte zu ihrem zweitägigen Gipfel treffen, geht es vorrangig um die Zukunft des vereinigten Deutschlands. Hohe Erwartungen über mögliche Kompromisse in der Frage der Nato-Integration sind fehl am Platz; es wird ein zäher Arbeitsgipfel. Denn es liegt nicht in der Macht von Bush und Gorbatschow, die zentralen Kontroversen - die sicherheitspolitischen Bedingungen der Vereinigung und die konventionelle Abrüstung in Europa - im Alleingang zu klären.

Die sicherheitspolitischen Bedingungen der deutschen Vereinigung und - damit aufs Engste verknüpft - die konventionelle Abrüstung in Europa sowie die künftigen Kräfteverhältnisse auf dem Kontinent - das dürften die zentralen Kontroversen des Washingtoner Gipfels werden. Durchbrüche sind von den Gesprächen nicht zu erwarten, zu denen die beiden Großmacht-Chefs heute und morgen zusammentreffen. Dazu nämlich bedürfte es der Teilnahme eines wichtigen dritten Mannes. Doch der agiert bislang aus dem Hintergrund des Elysee-Palastes, antichambriert geschickt in Moskau und (in zwei Wochen) in Washington, ohne sich festzulegen. Und er versagt seit Wochen bei den Wiener Abrüstungsverhandlungen einem Kompromiß in der Truppenfrage die Zustimmung.

Seit Mitterrands gemeinsamer Pressekonferenz mit Gorbatschow am vergangenen Freitag in Moskau ist noch deutlicher geworden, in welch großem Maße Fortschritte bei den zentralen Problemen von Frankreich abhängen. Auf dieser Pressekonferenz hatte Gorbatschow zum erstenmal angedeutet, für das vereinte Deutschland eventuell eine Nato -Mitgliedschaft a la fran?aise zu akzeptieren - also eine politische, aber keine militärische Integration in die westliche Allianz. Weil sie genau diesen „Schachzug“ des Kreml-Chefs kommen sah - so verlautet es jetzt aus dem Washingtoner State Department - habe die Bush-Administration die Regierung in Paris schon vor Wochen gebeten, eine Aufwertung der Nato-Rolle Frankreichs ernsthaft zu prüfen. Zwar drängte die Bush-Administration mit Rücksicht auf Pariser Empfindlichkeiten nicht gleich auf die volle Rückkehr in die militärische Integration des Bündnisses. Doch wurde der Vorschlag gemacht, US-Kampfflugzeuge vom Typ F-16, die Washington demnächst aus Spanien abziehen muß, nach Südfrankeich zu verlegen. Die Regierung Mitterrand reagierte kühl und eher ablehnend auf den Wunsch, heißt es im State Department. In Paris stößt das Beharren der USA auf einer - weitgehend unveränderten - Nato mit US -amerikanischen Atomwaffen als westlichem Sicherheitsbündnis und gar „zentralem Pfeiler“ einer künftigen gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur auf großes Unbehagen. Der Absicht Washingtons, auf diese Weise seinen Einfluß in Europa zu sichern, steht Frankreichs Streben nach einer führenden Rolle in einer US-unabhängigen westeuropäischen Verteidigungsorganisation entgegen.

Keine Positionswechsel

Diese unterschiedlichen Interessen innerhalb des westlichen Lagers schaffen zusätzliche Schwierigkeiten bei West-Ost -Rüstungsverhandlungen, wie sie in Wien derzeit in der Truppenfrage deutlich werden. Erst beim Nato-Gipfel Anfang Juli in London soll versucht werden, die unterschiedlichen Positionen auf einen Nenner zu bringen. Möglich ist daher allerhöchstens, daß sich die beiden Präsidenten bis Samstag auf einen Kompromiß in der Frage der Kampfflugzeuge, dem zweiten Wiener Hauptproblem, einigen. Vor dem Nato-Gipfel wird Bush im Alleingang gegenüber Gorbatschow auch kaum von der in den letzten Wochen festgeklopften Linie der Nato -Vollmitgliedschaft eines vereinten Deutschlands abweichen. Gorbatschow dürfte in dieser Frage auch keine Positionswechsel vollziehen, die über die Andeutungen der Moskauer Pressekonferenz hinausgehen - gerade weil er innenpolitisch so stark unter Druck steht.

Schon jetzt werfen ihm viele seiner Gegner unter den Konservativen den Ausverkauf sowjetischer Sicherheitsinteressen vor. So wird denn ab heute in Washington erneut ein Stück auf der politischen Weltbühne aufgeführt, das mit der Realität zunehmend weniger zu tun hat. Die zentralen Probleme sind keine bipolaren mehr und können daher auch nicht mehr durch Treffen der Hauptexponenten der alten bipolaren Weltordnung gelöst werden. Auch das Hochjubeln einiger bilateraler Abkommen, die auf dem Gipfel unterschrieben werden, kann diese Tatsache nicht mehr verdecken. Doch selbst dieser rein bilaterale Bereich bleibt weit hinter den noch während des Dezember-Gipfels in Malta geschürten Erwartungen an das Zeitalter nach dem Ende des Kalten Krieges zurück. Ein fertiges START-Abkommen liegt nicht vor. Bis zuletzt feilten die Experten beider Seiten an den Details des Rahmenabkommens, das die beiden Präsidenten unterschreiben sollen. Der eigentliche - jetzt für Ende des Jahres in Aussicht gestellte - START-Vertrag wird weit weniger zur Folge haben als die seit Jahren angekündigte Halbierung der strategischen Atomwaffenarsenale der beiden Großmächte. Von einer solch drastischen Reduzierung hat nicht zuletzt Mitterrand die Einbringung der „Force de frappe“ in Rüstungskontrollverhandlungen abhängig gemacht.

Die Sorge ist er zunächst los. Das C-Waffen-Abkommen bedeutet Fortschritt, insoweit es die Verringerung der sowjetischen und US-amerikanischen Kampfstoffbestände auf zunächst 5.000 und später 500 Tonnen vorsieht. Daß die Vernichtung dieses Restbestandes aber an die Erfüllung politischer Bedingungen durch anderere Staaten geknüpft wird, dürfte vor allem in Ländern der „Dritten Welt“ das seit dem atomaren Nicht-Weiterverbreitungsvertrag herrschende Mißtrauen gegen diskriminierende Seperatabkommen der Großmächte schüren. Die Unterzeichnung der beiden Abkommen über die Begrenzung militärischer und ziviler Atomtests auf 150 Kilotonnen ist lediglich die völkerrechtliche Festschreibung einer seit 15 Jahren von beiden Seiten eingehaltenen Praxis. Die Ratifizierung der beiden damals ausgehandelten Abkommen durch den US-Senat war bislang an Differenzen über Verifikationsmethoden gescheitert. Im Bereich wirtschaftlicher, technologischer und anderer Beziehungen werden zwar eine Reihe von Einzelabkommen unterschrieben. Sie kommen - wie die Vereinbarung über die Vervierfachung des bilateralen Flugverkehrs - zum Teil direkt den BürgerInnen zugute - so sie über westliche Devisen oder über die notwendige Menge Rubel verfügen. Doch der große Wurf, der ein Beitrag sein könnte zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der UdSSR, bleibt auch hier aus: Die von Bush schon in Malta in Aussicht gestellte Meistbegünstigungsklausel im bilateralen Handel will die Bush-Administration Moskau auch weiterhin nicht gewähren - wegen angeblich nicht erfüllter Bedingungen im Bereich von Freizügigkeit und Ausreisemöglichkeiten. Die sind hingegen - nach Analyse der Bush-Administration - offenbar in China ausreichend erfüllt.

Andreas Zumach, Washington

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