Wo steckt Elmar Pieroth?

■ Der neue Wirtschaftsstadtrat von Ost-Berlin hat sein Amt nicht angetreten / Trotz Versorgungsengpässen verschwand Pieroth in den Urlaub nach Frankreich

Berlin. Nicht ganz ohne Stolz präsentierte gestern der neue Oberbürgermeister von Ost-Berlin, Tino Schwierzina, sein Kabinett einen Tag nach der Amtsübernahme von den Vorgängern - trotz der drückenden Personalprobleme, die der Magistratsbildung vorausgingen und trotz der noch drückenderen Probleme, die der neuen Stadtregierung ins Haus stehen. Neben dem Stadtrat für Bildung, Dieter Pavlik (SPD), fehlte noch einer auf dieser ersten Magistrats -Pressekonferenz: der einzige West-Import, der Stadtrat für Wirtschaft, Elmar Pieroth, der so gerne DDR -Wirtschaftsminister geworden wäre und es am Mittwoch mit dem schlechtesten Stimmenergebnis doch nur zum Stadtrat gebracht hatte, verspürte offenbar wenig Neigung, sein neues Amt anzutreten. Und das, obwohl schon vorgestern bekannt war, daß es im Ostteil der Stadt erhebliche Versorgungsprobleme mit Lebensmitteln gibt und die Bewohner nun wieder Schlange stehen müssen (siehe Reportage S. 35).

Schwierzina gab mit unverhohlen säuerlicher Miene und verärgertem Ton bekannt, daß ihm der Aufenthaltsort seines Wirtschaftsstadtrates nicht bekannt sei, daß ihm aber zu Ohren gekommen sei, daß dieser seit gestern einen Urlaub angetreten habe. „Er hat sich bei mir nicht abgemeldet, und ich weiß auch nicht, wann er zurückkommt.“ Über den Verbleib des „Chauvis des Jahres 1989“ war auch bei den CDU -Parteifreunden in der Wichertstraße nichts bekannt: Der Fraktionsvorsitzende Jacob war ebenso überrascht wie der Oberbürgermeister und sah sich außerstande, für Pieroth einzuspringen. Um die Ursachen für die drängenden Versorgungsprobleme zu untersuchen, muß Schwierzina jetzt auf Pieroths Vorgänger zurückgreifen.

Der 55jährige Pieroth, in den bundesdeutschen Medien bekannt vor allem durch den Glykolskandal im vom Vater geerbten Weingut, hat sich nach Auskunft seines Westberliner Büros zu einem Kurzurlaub nach Frankreich begeben. Aus seiner Amtszeit als Wirtschaftssenator in West-Berlin unter Weizsäcker erinnert man sich, daß er in den ersten zwei Jahren seine Amtsräume jeden Mittag verließ, um zu Hause einen Mittagsschlaf zu halten. Erst einschlägige Presseberichte brachten den Senator seinerzeit um die liebgewordene Gewohnheit. Für ungewöhnliche Wege hatte Pieroth schon immer eine Schwäche: 1960 brach er mit zwei Freunden aus Bad Kreuznach nach Togo auf, um 2.000 Hektar Land urbar zu machen und eine Stärkefabrik zu gründen.

Mit der Wahl zum Stadtrat hat Pieroth die Liste seiner Ämter um ein weiteres ergänzt: Der wendige Unionspolitiker ist Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung in Bonn, Berater des DDR-Wirtschaftsministers und Abgeordneter in West-Berlin. In der Plenarsitzung am Donnerstag wurde er dort nicht nur gesehen, sondern auf Wunsch der CDU-Fraktion ausdrücklich vom Vorsitzenden in seiner neuen Funktion begrüßt. Sein neuer Dienstherr muß darauf hoffen, daß er nächste Woche seinen Dienst antritt. Gestern, so der Sprecher der CDU-Fraktion in West-Berlin, habe das sowieso keinen Sinn gehabt, da die entsprechende Verwaltung so kurz vor Pfingsten ohnehin schon alle Tore verschlossen habe. Alle anderen Magistratsmitglieder haben ihr Amt offiziell am Donnerstag übernommen, aber da war Pieroth im Westberliner Abgeordnetenhaus beschäftigt.

Kordula Doerfler