Wortreiches Schweigen vor der Journalistencreme

Bush fuchtelt mit den Armen, Gorbatschow improvisiert philosophische Diskurse, Worthülsen erklingen aus Mikrofonen so groß wie Stinger-Raketen / Notizen vom Gipfel-Rummel in Washington / Von der „Beat Generation“ zur „Upbeat Generation“  ■  Aus Washington Rolf Passch

Im Pressezentrum an der George Washington Universität warten 1.500 Journalisten auf das Nichts, um es anschließend in alle Welt weiterzugeben. An den telephonbestückten Tischen der Turnhalle harren die Gipfelbeobachter der ersten Bilder vom US-Auftritt Michail Gorbatschows, den die Mehrheit von ihnen bei diesem viertägigen Gipfel nicht einmal zu Gesicht bekommen werden.

10.30 Uhr. Nach der Begrüßung auf dem Rasen des Weißen Hauses hat sich George Bush mit seinem Gast in das Oval Office zurückgezogen. An den Presse-Tischen wird derweil über die letzten Insider-Informationen zum vermutlichen Deutschland-Deal der beiden supermächtigen Chefs spekuliert. Schlagworte sind „Truppenreduzierung“ und „Singularisierung“. Ob Gorbatschow sie annimmt, oder wieder einen unerwarteten Trumpf aus dem Ärmel zieht?

Die Creme de la Journalistencreme gibt dem journalistischen Fußvolk großzügig die Informationenbrösel weiter, mit denen sie von höchstrangigsten US-Regierungsbeamten in allervertraulichsten Briefings versorgt werden. Informationen aus dem sowjetischen Lager bleiben dünne.

Für die Besucherdelegation ist die US-Visite eine Ein -Personen-Show: Gorbatschow in Amerika, live für die Abendnachrichten in der UdSSR. Mühelos pariert der Glasnost -Star nach der ersten Gesprächsrunde die Fragen ausgewählter Hofjournalisten, während George Bush mit hilflosen Armbewegungen zu unterstreichen versucht, wo es nicht viel zu unterstreichen gibt. Seine Berater können dem US -Präsidenten das Fuchteln mit seinen Händen einfach nicht abgewöhnen. Gorbatschow wirkt dagegen, als habe er seine Medienlektion in Hollywood gelernt.

Auch gegen Mittag, vor den in der sowjetischen Botschaft versammelten „Cerebralitäten“, einer amerikanischen Mischung aus Kopfmenschen und Filmstars, ist Gorbatschows Auftritt makellos. Souverän improvisiert er vor den ehrfürchtig staunenden Jane Fondas und Henry Kissingers eine philosophische Lunch-Ansprache über die Schwierigkeiten beim Übergang zur freien Marktwirtschaft, wie sie Bushs Redenschreiber nicht einmal in einer Wochenend-Session aufs Papier gebracht hätten. „Der Mann braucht einfach keinen Sprecher“, so kommentiert ein Mitglied der weiter in der Turnhalle auf die Pressesprecher wartenden Journalistenschar. Schließlich, gegen 15 Uhr, kommt Leben in die Journaille. Die Herren Maslennkow und Fitzwater treten aufs Podium. Wer eine Frage hat, spricht sie ins Mikrophon von der Größe einer Stinger-Rakete; nur um von den beiden Regierungssprechern immer wieder die gleichen Worthülsen zu hören, die anschließend in Agenturmeldungen und Zeitungsartikel eingearbeitet werden müssen. Die Gespräche waren „fruchtbar“, „freundlich“ und immer wieder jener Ausdruck hemmungslosen Optimismus: „upbeat“. Nach der „Beat Generation“ der 50er Jahre, präsentieren die politischen Gipfel der 90er Jahre die „Upbeat Generation“. Ja, so hüllen sich Fitzwater und Maslennkow in wortreiches Schweigen, Bush und Gorbatschow hätten über alle Fragen gesprochen; nein, Konkretes gebe es noch nicht; ja, alle Themen hingen eng zusammen; nein, die Frage der deutschen Nato-Mitgliedschaft könne nicht allein auf diesem Gipfel entschieden werden. Danke, Meine Herren! Gorbatschow ist während dieser Tele-Non -Kommunikation wieder zur zweiten Gesprächsrunde ins Weiße Haus zurückgekehrt.

Und dann, auf seiner Rückfahrt zu seinem Domizil in der sowjetischen Botschaft passiert es: An der Ecke Pennsylvania Avenue und 15. Straße läßt er seine Autokavalkade anhalten und stürzt sich zum Entsetzen der sonnenbebrillten Sicherheitsbeamten in das amerikanische Volk. Sehr zum Unwillen der Fernsehkommentatoren, denen diese Adaption des US-Wahlkampfstils überhaupt nicht paßt. „In Moskau könnte er sich das nicht leisten“, so versucht der CNN -Berichterstatter die peinliche Popularität Gorbatschows in den USA zurechtzurücken. „Dieser Genuß unserer Freiheit muß ihm ja eine Erholung sein“, ergänzt sein Kollege, als müsse Gorbatschow danach in den Gulag der sowjetischen Politik zurück. Die Angesprochenen hinter den Straßenbarrieren sehen das ganz anders: „Der ist cool, der Mann“, sagt ein Washingtoner bewundernd über den Gipfelstar. Nach einer 73 -prozentigen Popularitätsrate vor seiner Ankunft, dürfte Gorbis positives Image nach den vier Tagen in den Vereinigten Staaten ins Unermeßliche schießen.

Als die Journalisten längst in ihr Hotelzimmer zurückgekehrt sind, können sie dort in den Abendnachrichten folgenden Szene verfolgen: „Es gab an diesem Tag allerdings noch einen anderen Mann in Washington, der für Nachrichten sorge“, kündigt der Sprecher den nächsten „newsbite“ an: Da steht ein einsamer George Bush vor seinem Weißen Haus, und versucht dem ihm gestohlenen Gipfel noch einen Sinn zu geben. Und selbstverständlich fuchtelt er wieder wild mit den Armen herum.