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Volkskammer wälzt Papierberge

■ Über zwei Dutzend Bundesgesetze in erster Lesung verabschiedet / Bonner Gesetzesänderungen gelten künftig in der DDR / CDU räumt Verstoß gegen wissenschaftliche Vernunft ein / Opposition kritisiert en-bloc-Verfahren / Bündnis90: Entscheidungen fallen in Bonn

Berlin (taz) - Die Volkskammer hat auf ihrer Tagung am Freitag ein quantitativ gewaltiges Stück gesetzgeberischer Arbeit geleistet. Die Abgeordneten verabschiedeten in erster Lesung ein Gesetzespaket, das 800 Seiten umfaßt und mit dem 26 Gesetze und Teile von Gesetzen aus der BRD übernommen werden. Sie werden jetzt in fast allen Ausschüssen der Volkskammer weiter beraten. Den Abgeordneten lag dieses Paket gestern immerhin seit zwei Tagen zur Lektüre und Beratung vor. In dem „Mantelgesetz“ sind unter anderem zusammengeschnürt: die Gesetze über die Bundesbank, das Kreditwesen, über Kapitalanlagegesellschaften, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Hypothekenbankgesetz. Weiterhin gehören dazu das Aktiengesetz, das Atomgesetz, die Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen und über Abzahlungen. Im Rahmen der künftigen Sozialunion werden das Mitbestimmungsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, das Tarifvertragsgesetz und das Kündigungsschutzgesetz übernommen.

Justizminister Kurt Wünsche (Liberale) erklärte in seiner Erläuterung, daß die DDR nicht über ausreichende gesetzliche Grundlagen für die Einführung der Marktwirtschaft verfüge, die in der BRD „historisch gewachsenen Gesetze“ seien dafür besser geeignet. Er wies darauf hin, daß mit Verabschiedung des Mantelgesetzes künftige Gesetzesänderungen durch den Bonner Bundestag auch in der DDR Gültigkeit hätten. Zu ihnen sollten jeweils Stellungnahmen der zuständigen Organe in der DDR eingeholt werden. Von den Regierungsparteien wurde dieses Vorhaben begrüßt. Der Vorsitzende der Fraktion CDU/DA, Günter Krause, der die DDR-Delegation bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag geleitet hatte, räumte allerdings ein, daß der Zeitdruck sehr groß sei. „Wissenschaftlich“ wäre ein Vorgehen besser, bei dem zuerst die Produktivität der Wirtschaft gesteigert und dann erst eine Währungsunion eingeführt worden wäre. Doch der Druck von seiten der Bürger, die schnell an die D-Mark kommen wollten, sei zu groß für ein solches Vorgehen gewesen.

Für die SPD sprach der Abgeordnete Volker Manhenke. Er verlangte Nachbesserungen, die verhindern sollten, daß verschuldete Betriebe von vornherein in Konkurs gehen würden. Seine Mitbürger forderte er auf, DDR-Produkte zu kaufen, um so ihre eigenen Arbeitsplätze zu sichern. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Frank Bogisch, forderte, daß nicht zugelassen werden dürfte, daß ganze Regionen zu Arbeitslosen- und Armutsgebieten verkümmerten. Spekulanten müsse ein Riegel vorgeschoben werden.

Uwe-Jens Heuer von der PDS-Fraktion erklärte, daß es grundsätzlich zutreffe, daß ein gemeinsamer Markt auch gemeinsames Recht erfordere. Es gebe aber in der DDR im Sozialbereich, in Teilen des Strafrechts und im Familienrecht gewachsene Traditionen, die erhaltenswert seien. Die DDR-Bürger würden jetzt mit einer ganzen Fülle unbekannten Rechts konfrontiert.

Für Bündnis90/Grüne kritisierte Hans-Jochen Tschiche, daß der vorliegende Papierberg eine ordnungsgemäße Beratung nicht zulassen würde. Verfahren werde nach dem Motto: „Vertraut nur, die Mächtigen werden schon das Gute für Euch tun.“ Im Grunde genommen könnte die Volkskammer bis November in Urlaub gehen, denn die wesentlichen Entscheidungen fielen sowieso in Bonn.

ws

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