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FDJ im Handstreich (vorerst) enteignet

Vermögen soll an neue „Stiftung Demokratische Jugend“ übergeben werden / Die aber wird vom Jugendministerium sowie parteinahen Verbänden dominiert  ■  Von Frank Nordhausen

Berlin (taz) - Der Inszenierung fehlte es nicht an Dramatik. Seit Tagen auf die Minute geplant, wurde die entscheidende Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch erst wenige Stunden vorher angekündigt; angeblich aus „Zeitgründen“, tatsächlich wohl eher, um den Vorstand der Freien Deutschen Jugend (FDJ) nicht vorzeitig zu warnen. Denn es ging um das Kapital der einstmals mächtigen DDR-Jugendorganisation.

Die Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert (CDU) gab bekannt, daß ihr Ministerium eine „Stiftung Demokratische Jugend“ errichtet habe, die mit 40 Millionen Mark aus dem „Konto junger Sozialisten“ ausgestattet sei. Die Stiftung soll langfristig Jugendarbeit auf dem Gebiet der heutigen DDR fördern, freien Trägern und dem internationalen Jugendaustausch zugute kommen. Eine solche Entscheidung war schon längere Zeit erwartet worden, da die weitgehende Verfügungsgewalt über das „Konto Junger Sozialisten“ der FDJ bereits von der Modrow-Regierung genommen worden war.

Interessanter waren die weiteren Ausführungen der Ministerin. Sie erklärte nämlich, daß sich die „alte“ FDJ auf ihrem Kongreß in Brandenburg am 27. Januar aufgelöst und neugegründet habe. Diese „neue“ FDJ habe lediglich den „Charakter eines Vereins im Sinne des Vereinigungsgesetzes“ und vertrete nicht mehr die Interessen der gesamten Jugend. „Das betrifft vor allem die Vermögenswerte, die noch von der FDJ verwaltet werden. Die Stiftung wird daher das Vermögen, das als Vermögen der Jugend anzusehen ist, ab sofort übernehmen.“ Im Klartext: Die FDJ wird zugunsten der Stiftung enteignet.

Daß die ministerielle Anordnung genau so zu verstehen ist, verdeutlichte anschließend Patrick Schneider, der von der Regierung eingesetzte Geschäftsführer der neuen Stiftung und vormalige juristische Berater des Demokratischen Jugendbundes (DJB), des Zusammenschlusses der Teilnehmer am Runden Tisch der Jugend. Er bezeichnete die Stiftung als Rechtsnachfolgerin der „alten“ FDJ und gab bekannt, daß die Bankkonten der FDJ gesperrt worden seien, „weil die Vermutung bestand, daß die FDJ Gelder abhebt, wenn sie heute von dem Beschluß erfährt“. Daher habe man die FDJ auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht von ihrer Rechtsnachfolgerin in Kenntnis gesetzt.

Dubiose Machenschaften der FDJ

Ein wesentlicher Hintergrund des spektakulären Vorgehens sind undurchsichtige finanzielle Transaktionen der alten und neuen FDJ-Spitze. Beispielsweise „verschwanden“ seit der Wende materielle Werte in Millionenhöhe, andere wurden günstig an alte Genossen verkauft; bei Inventuren ergaben sich allenthalben erhebliche Fehlbeträge. Bis heute hat die ehemalige Staatsjugendorganisation noch keine vollständige Vermögensbilanz vorgelegt. Nach einem Bericht des 'Morgen‘ liegt der Organisation seit dem 8. Mai ein interner Untersuchungsbericht vor, der feststellt, daß „bei Materialbeständen Differenzen in 70 von 102 Positionen in Höhe von ca. 1,15 Millionen Mark bestehen und nicht aufgeklärt werden können“. Weitere 10 Millionen Mark an Materialbeständen seien einfach „abgewertet oder ausgebucht“ worden.

Vor allem aber: zu Beginn des Jahres gründeten hohe FDJ -Funktionäre eine Reihe von GmbHs, die wiederum mit der FDJ Nutzungsverträge über Immobilien oder technische Ausrüstungen schlossen - zu „unglaublichen Vorzugsbedingungen“, wie der FDJ-Revisor Bernd von Zweydorf schon im Februar kritisierte. Die Vorgänge beschäftigten zwischenzeitlich auch die Staatsanwaltschaft, ohne daß dies zu strafrechtlichen Konsequenzen führte. Noch vor wenigen Wochen wurden den GmbH-Betreibern seitens des FDJ-Vorstandes Kredite in Höhe von mindestens 6,4 Millionen Mark eingeräumt - als „Starthilfe in die Marktwirtschaft“, so Bernd von Zweydorf.

Jetzt soll es damit vorbei sein. Nach der Pressekonferenz vom Mittwoch zog der ganze Troß der Mitarbeiter aus Stiftung und Ministerium zum „Haus der Jugend“ Unter den Linden, wo die FDJ residiert. Dort wurden sie von aufgebrachten FDJlern mit Transparenten, DDR-Fahnen und Diskomusik empfangen. Patrick Schneider überreichte der FDJ-Vorsitzenden Birgit Schröder den Beschluß des Ministeriums und forderte sie auf, die Büroräume zu verschließen und bis zum nächsten Morgen 8.00 Uhr alle im Haus befindlichen Dokumente zu übergeben. Diesem Wunsch wurde mit Hinweis auf die Einschaltung eines Rechtsanwaltes nicht entsprochen, zumal Schneider keinerlei staatsanwaltschaftliche Ermächtigung vorweisen konnte. Ein FDJ-Funktionär erklärte gegenüber der taz, daß auch die Sperrung der Konten wieder aufgehoben sei, da diese ebenfalls ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung erfolgt sei: „Die haben das dilettantisch durchgeführt. Die Bank hat sich entschuldigt.“

FDJ-Rechtsnachfolge umstrittten

Bei der anschließenden Tagung des Runden Tisches der Jugend drückte der stellvertretende Vorsitzende der FDJ, Burkhard Herrmann, seine Überraschung über die Ereignisse aus: „Die FDJ hat sich entgegen der Darstellung des Ministeriums am 27. Januar 1990 nicht aufgelöst.“ Im Gegenteil, drei Viertel der Delegierten hätten sich bei der entscheidenden Abstimmung gegen die Auflösung ausgesprochen. Außerdem sei die FDJ kein Verein, sondern eine parteiähnliche Organisation, die sogar an den Volkskammer- und Kommunalwahlen teilgenommen habe. Die Stiftung könne also nicht Rechtsnachfolgerin der FDJ sein.

Somit stehen sich zwei Rechtsauffassungen gegenüber, die eigentlich nur im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung geklärt werden können: schließlich geht es um viel Geld, das in einem Monat in harte DM umgewandelt wird. Am Donnerstag schickte die FDJ einen Brief mit der Bitte um Klärung des Sachverhaltes an den Ministerpräsidenten de Maiziere. Gleichzeitig ging sie mit der Vorstellung eines kritischen Untersuchungsberichtes über den Umgang der FDJ-Leitung mit ihrem Vermögen an die Öffentlichkeit.

Runder Tisch nennt Stiftung undemokratisch

Das es sich aber bei der ganzen Staatsaktion vermutlich nicht nur darum handelt, weitere dunkle Geschäfte der FDJ zu verhindern, machte im übrigen die Diskussion des Runden Tisches mit den Vorstandsmitgliedern und dem Geschäftsführer der „Stiftung Demokratische Jugend“ deutlich. Zwar begrüßten die Jugendvertreter grundsätzlich die Entprivilegierung der FDJ durch Überführung ihres Eigentums in eine Stiftung. Sie kritisierten aber die Art und Weise, wie dies geschehen sei. Die Stiftung sei undemokratisch zustandegekommen, nämlich ohne Mitwirkung des DJB (von dem die Idee ursprünglich ausgegangen war); in ihrem Vorstand säßen mit einer Ausnahme nur regierungs- und parteinahe Jugendverbände, und die demokratische Kontrolle sei nicht gewährleistet. (Der Vorstand, so will es die Satzung, wird vom Ministerium eingesetzt und wählt aus verschiedenen Vorschlägen bis zu zehn Mitglieder eines Kuratoriums, das ihn beraten, aber auch kontrollieren soll.) Wie Thomas Heppener, Geschäftsführer der Jungen Sozialdemokraten und Vorstandsmitglied der Stiftung erklärte, werde es jedoch an der Satzung keinerlei Änderungen mehr geben: sie sei auf Anordnung des Jugend-, Innen- und Justizminsteriums in der vorliegenden Form festgeschrieben.

Probefall für PDS-Enteignung

Hinter vorgehaltener Hand war denn auch am Rande des Runden Tisches zu vernehmen, daß hier eine Art „Putsch“ der rechten Jugendverbände (und ihrer Mutterparteien) gegen den mehrheitlich linken DJB stattgefunden habe: „Das FDJ -Eigentum hätte auch dem DJB übergeben werden können. Es war eine Entscheidung zwischen rechts und links, und die Rechten haben erstmal gewonnen“, sagte ein Insider. Und Charlotte Hahn vom FDJ-Vorstand prognostizierte - schon vor der Volkskammerentscheidung über die Enteignug der PDS vom Donnerstag -, die FDJ sei nur der Testballon für ein weitergehendes Ziel: „Das ganze Szenario ist darauf angelegt, die PDS anzugehen.“

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