piwik no script img

Dioxin-Rekord in badischem „Mini-Stahlwerk“

Ein Untersuchungsausschuß des Stuttgarter Landtages veröffentlicht Zahlen über beispiellose Dioxin-Emissionen in den Badischen Stahlwerken / Steigende Zahl von Krebserkrankungen / Unternehmensleitung verspricht: „Umweltschutz bis zum letzten Mann“  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

„Wir entlasten die Umwelt“, hatte Horst Weitzmann, Vorstandsvorsitzender der Badischen Stahlwerke (BSW) in Kehl noch im Februar verlauten lassen - schließlich habe sein Unternehmen im vergangenen Jahr einmal mehr bewiesen, daß „Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sein müssen“. Doch das kleine Stahlwerk am Rhein ist als eine der schlimmsten Dioxin-Schleudern ins Gerede gekommen. In den vergangenen Jahren hat sich dort ein Dioxin-Skandal sondergleichen abgespielt - das ist nicht nur die Meinung von SPD und Grünen im Dioxin-Untersuchungsausschuß des Stuttgarter Landtags.

Das Unternehmen, angeblich eines der „leistungsfähigsten Mini-Stahlwerke“, stellt aus Schrott Stahl her und verarbeitet diesen teilweise zu Nägeln, Draht, Gitterträger und Bandstahl. In der nach Werksangaben modernsten Schrottschmelzananlage der Welt werden Autowracks, Industrieabbruch, Blechreste und Späne der Metallindustrie in Elektro-Lichtbogenöfen zu hochwertigem Walzstahl eingeschmolzen - samt Lacken, Ölen, Fetten und Kunststoffteilen, bei deren Verschwelung Dioxin-Verbindungen in großen Mengen entstehen.

Dabei fallen monatlich über 1.000 Tonnen Stäube an. Bei Messungen wurden 1985 wie erwartet Dioxine festgestellt. Die Höhe der Werte verblüffte aber nicht nur Experten: bis zu 2.000 Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Kilo wurden im Bodenstaub gemessen, der unter der Filteranlage zusammengefegt wurde. Diese Zahl gelangte erst jetzt durch den Dioxin-Ausschuß an die Öffentlichkeit. Dann stellte sich heraus, daß die Firma durch Leiharbeiter den abgelagerten Dreck in Schichtpausen Sonntagnachts beiseiteschaufeln ließ

-ohne entsprechenden Atemschutz, wie einer der früheren Arbeiter ausplauderte.

Doch nicht genug: Im Filterstaub, der zudem hohe Zink- und Bleikonzentrationen enthält, fanden sich Dioxin -Spitzenwerte: allein 0,2 Milligramm des reinen 2,3,7,8 TCDD wurden gemessen, das 1976 im norditalientischen Seveso ausströmte. Zu „Pellets“ - kleinen Kugeln - verarbeitet, wurden die Filterstäube offen auf dem Firmengelände zwischengelagert, bevor sie auf dem Rhein zum Recycling zur Duisburger Metallhütte Berzelius verschifft wurden. Das wiederum geschah ohne Genehmigung: Nach der Gefahrstoffverordnung von 1986 hätten die Pellets nicht „in Verkehr“ gebracht werden dürfen, zumal sie als Recyclingprodukt als „Wirtschaftsgut“ zu betrachten waren. Die dafür in der Gefahrstoffverordnung festgelegten Grenzwerte für Dioxin von 5.000 ng/kg seien dabei um mehr als das Zehnfache überschritten worden, erklärte das Ausschußmitglied der Grünen, Jürgen Rochlitz. Eine Sondergenehmigung soll erst jetzt beantragt werden.

„Ein Stahlwerk ist keine Naturschutzoase“ trat der seit Jahresbeginn zum Umweltdirektor ernannte Karl-Heinz Klein in der Betriebszeitung den Vorwürfen entgegen, die BSW sei ein Umweltverschmutzer der übelsten Sorte. Er verkündete gleich die neue Unternehmenstrategie: „Umweltschutz bis zum letzten Mann“. Der Betrieb, der jährlich mit knapp 1.000 Beschäftigten rund eine Million Tonnen Stahl produziert, will in den nächsten fünf Jahren 75 Millionen DM für Umweltschutzmaßnahmen ausgeben. Der abgesaugte Filterstaub aus der Schmelzofenhalle wird bei der Pelletierung inzwischen in einem geschlossenen System gehalten. Die moderne Schrottvorwärmanlage, erst 1984 nach behördlicher Genehmigung in Betrieb genommen, ist seit Ende November offiziell wieder stillgelegt. Sie hatte zu erheblichen Dioxin-Emissionen geführt. Und auch mit dem pelletierten Staub ging die Unternehmensleitung in die Offensive: Unter dem Motto „Wir brauchen unseren Dreck selber“ wirbt die BSW mit der Rückverwandlung der Stäube zu Rohstoffen.

Die Frage, ob die Firma gegen Arbeitschutzvorschriften verstoßen habe, weist das Recyclingunternehmen aber weit von sich. Im Bereich der Ofenhalle trete Dioxin nicht auf, die Meßwerte lägen unter der Nachweisgrenze, gab Klein vor dem Dioxin-Untersuchungsausschuß zu Protokoll. Die wöchentlichen Säuberungsarbeiten besorgte die Thyssen-Tochter WIG, die sich ihre Leiharbeiter bei der Freiburger Firma Keller holte. Jürgen Adriaans, einer der Leiharbeiter, hatte im nichtkommerziellen Sender Radio Dreyeckland berichtet, wie er mit Kollegen mit Schaufel, Besen und Schubkarre den bis zu 30 Zentimeter hoch liegenden Staub aus der Anlage schaffte. Teilweise sei der aufgewirbelte Staub so dicht gewesen, daß sie rausgehen mußten, um etwas Luft zu holen. Statt Staubmasken gab es lediglich einfache Grobstaubfilter, wie sie etwa in der Holzverarbeitung getragen werden. Die Geschäftsleitung konterte die Reportage von „ganz unten“: „Jürgen Adriaans war in einem Bereich eingesetzt, in dem nach vorliegenden Messungen kein Gefahrstoff wegen Dioxingehaltes vorliegt.“

Höhere Sterblichkeit

in Kehl-Auenheim

Wohl aufgeschreckt durch den Bericht Adriaans, wurde auch das Stuttgarter Sozialministerium aktiv. Es verlangte von dem für die Überwachung der BSW zuständigen Gewerbeaufsichtsamt Freiburg im März eine „Klärung des Sachverhalts“. Doch im Gewerbeaufsichtsamt scheint man hinter dem Mond zu leben: Atemschutzmasken seien bis zu dem Vorfall nicht vorgeschrieben gewesen. Dem Gewerbeaufsichtsamt lägen auch nach Teilnahme an der Dioxin -Expertenanhörung im Januar in Karlsruhe „keine Erkenntnisse dafür vor, daß Dioxine, auch nur das 2,3,7,8 TCDD, zwischenzeitlich als giftig, sehr giftig oder krebserzeugend eingestuft wurden“, schrieb Amtsleiter Arthecker ans Ministerium zurück. Grund genug für den Grünen-Abgeordneten Rochlitz, die Absetzung des Leiters des Gewerbeaufsichtsamts zu fordern.

Nach Ansicht der Kehler Ärzteinitiative pustet die BSW so viele Dioxine in die Luft wie zwei bis drei Müllverbrennungsanlagen zusammen. Nun stellte eine Studie des Krebsforschungszentrums Heidelberg in Kehl-Auenheim eine auffällig höhere Sterblichkeit infolge Brustkrebs und Tumoren in Mund und Rachen fest. Eine heftig umstrittene Studie der Ärzteinitiative war bereits vor einem Jahr von einer höheren Krebssterblichkeit ausgegangen. Doch die Frage der Verursacher läßt sich schwer klären. Auf der anderen Rheinseite liegt das Straßburger Industriegebiet samt Müllverbrennungsanlage. Nun hat sich auch noch die Stuttgarter Landesregierung entschlossen, in das ohnehin umweltbelastete Gebiet einen ihrer Giftmüllöfen hinzustellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen