piwik no script img

HUMANE INSELN?

■ Eine Ausstellung und eine Biographie über den Regisseur Heinz Hilpert

Anläßlich seines hundertsten Geburtstags hat die Akademie der Künste dem Theater- und Filmregisseur, Schauspieler und Intendanten Heinz Hilpert eine Ausstellung gewidmet. Gleichzeitig hat Michael Dillmann mit einer über 500 Seiten starken Sammlung von bisher unbekannten und unveröffentlichten Materialien und Texten und Berichten von Zeitgenossen die erste Hilpert-Biographie vorgelegt.

Hilpert, heute weit weniger bekannt als andere sogenannte „große Männer“ seiner Zeit wie Otto Brahm, Max Reinhard oder Gustav Gründgens, wurde 1890 in Berlin geboren. Seinem pädagogischen Impetus folgend, ließ er sich zunächst als Lehrer ausbilden, ging dann als Schauspieler an die Freie Volksbühne, um dann als Regisseur und später als Intendant eine steile Theaterkarriere zu starten.

1943 tritt er als Direktor des Deutschen Theaters die Nachfolge Max Reinhards an, der Deutschland unter dem Druck der Nazis verläßt. Nach der Einverleibung Österreichs wird er gleichzeitig Direktor am Wiener Theater in der Josefstadt. Bis 1944 setzt er seine Arbeit an beiden Häusern (Goebbels nannte sie „zwei KZs auf Urlaub“) fort, bis er schließlich denunziert und zum Arbeitsdienst eingezogen wird. Nach seiner Entnazifizierung gelingt es Hilpert, seine Arbeit in der Bundesrepublik fortzusetzen. Bis zu seinem Tod 1967 hat er es auf die stattliche Anzahl von über 400 Inszenierungen gebracht.

Einen besonderen Schwerpunkt der Dokumentation (die Ausstellung leistet hier nur Oberflächenarbeit) bildet die Arbeit Hilperts während der Zeit des Nazionalsozialismus. Ein heißes Eisen ganz a la Gründgens. Eine Fülle von Textbelegen, darunter Korrespondenzen, Briefwechsel und Tagebuchaufzeichnungen gewährt einen einigermaßen differenzierten Einblick in die zwiespältige Rolle, die Hilpert als sogenannter Kulturschaffender während der Nazizeit gespielt hat. Dillmann empfiehlt bei den vorliegenden Texten eine sorgfältige, doppelte Lesart, um zu einer angemessenen Interpretation zu gelangen. Sicherlich wäre es zu kurz gegriffen, wollte man beispielsweise das oberflächlich nur so vor opportunistischem Fett triefende Glückwunschtelegramm Hilperts an Goebbels als den „Schirmherren“ des Deutschen Theaters wortwörtlich gegen seinen Autor wenden: „(...) wir können mit bestem Gewissen und sehr viel Verehrung kühnlich behaupten, daß unsere Wünsche ganz auf ihn (Goebbels) und sein Glücklichsein und nicht auf uns selber (...) gerichtet sind (...)“

Das Telegramm an Goebbels ist nur ein Beispiel dafür, wie Hilpert im Laufe der Jahre zum geschickten Taktierer im Umgang mit seinen Brotgebern wird. Immer wieder gelingt es ihm, sogenannte „belastete Personen“ an seinen Theatern weiterzubeschäftigen. Kein Naziautor kommt auf seinen Bühnen zur Aufführung. Und trotzdem stellt sich die Frage, ob nicht Dillmanns Würdigung der Person Hilperts als „Stützpfeiler“ und „letzter Rettungsanker für viele“, gipfelnd in der These, er habe sein „Primat der Menschenwürde, auf bürgerlich-humanistischen Traditionen fußend, durch das braune Jahrzwölft hindurch“ bewahrt, den gefährlichen Mythos von der Möglichkeit eines quasi freien künstlerischen Schaffens inmitten der Barbarei nährt. Wo der Künstler in ein „Geschäftsverhältnis“ mit den Machthabern eintritt, indem er mit Hilfe „gelungener Inszenierungen“ Einzelpersonen aus dem KZ freikaufen kann, muß er unweigerlich in eine Krise geraten. Nachweislich hat Hilpert von seinem künstlerischen Konzept her eine Kollaboration von Theater (Kunst) und Politik abgelehnt, worauf unter anderem seine entschiedene Zurückweisung der künstlerischen Konzeption Brecht's zurückzuführen ist. Er dachte sich das Theater als „Menschenhaus“, als einen neutralen, quasi ideologiefreien Raum mit dem Regisseur als „Diener des Dichters“. Ein geradezu naiv anmutendes Konzept, das selbstverständlich von der Funktionalität nazionalsozialistischer Kulturpolitik mehr oder weniger zynisch ad absurdum geführt wurde. Paradebeispiel für eine vollkommene Verlegung des Widerstandes nach innen sind auch die sogenannten „Morgenfeiern“, sonntägliche Lesungen vorwiegend klassischer Texte im Theater, „stille Stunden“, Dialoge „zum Innehalten“, den „Dichtern und Dichterfreunden gewidmet“. Ihre Wirkung war allerdings subversiver und unerwünschter, als man heute annehmen würde!

Daß Hilpert von Goebbels tatsächlich bis 1944 geduldet wurde, ist höchstwahrscheinlich auf die scheinbare und genau kalkulierte „Toleranz“ Goebbels zurückzuführen, der es nur zu gut verstand, gewisse „humane Inseln“ als Ausstellungsstücke eines reinen und deutschen Kulturschaffens mit vorzeigbarem Qualitätsgehalt zu okkupieren, ohne sie sofort zu zerstören.

In seinem Aufsatz „Um einen Neubeginn bittend“ reflektiert Hilpert die Rolle und die Situation des Theaters im Nachkriegsdeutschland: „Wir haben jetzt kaum Zeit für bloße Unterhaltung. Wir müssen die Menschen anpacken und umformen. Aber bei allem Ernst die niederziehende Schwere alles dessen, was knapp hinter uns und zum Teil noch in uns liegt, wie in Grazie, Anmut, Zärtlichkeit und Zauber verwandeln (...)“ Niederziehende Schwere in Grazie verwandeln, braunen Dreck folglich zu Gold spinnen? Hilperts Antwort darauf müßte in seiner Stückauswahl zu suchen sein: Er liebt die Klassiker, vor allem Shakespeare. Unter den Zeitgenossen ist zeitlebens Hauptmann sein Favorit. Daß er selbst nie ein Stück von Brecht inszeniert hat, ist gewiß kein Zufall. Allerdings solidarisiert er sich nachdrücklich mit Brechts Aufruf gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands. Als 1956 die Mutter Courage in seinem Theater in Göttingen Premiere haben soll, erhält Hilpert Drohbriefe, die unter anderem Androhungen von Anschlägen enthalten. Eine Demonstration gegen Hilpert findet statt. Die Premiere geht dennoch über die Bühne.

Dillmanns Biografie ist zumindest eine Fundgrube für theaterhistorisch Interessierte. Neben zahlreichen Abbildungen und sorgfältig editierten Texten bietet sie einen umfangreichen Anhang sowie ein vollständiges Werkregister.

hoppe

Dillmann, Michael: Heinz Hilpert - Leben und Werk. Hrsg. von der Akademie der Künste/Ed.Hentrich. Ca. 39,50 DM. Ausstellung in der Akademie der Künste noch bis zum 10.6.90

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen