Rechtsradikale schlagen gegen Kulturzentrum los

■ Brutaler Überfall von rechtsradikalen Fußballfans auf multinationales Zentrum / Einer der Verletzten droht zu erblinden / Bewohner noch immer unter Schock

Ost-Berlin. Sechs Verletzte sind die Bilanz des nächtlichen Überfalls von rechten Fußballfans und Skins auf das „multinationale Kulturzentrum“ in der Oranienburger Straße, dem seit Februar vom Verein „Tacheles“ übernommenen ehemaligen Kino „Camera“. Besonders schwer erwischte es Tom S.: Der 23jährige Künstler, Mitglied der Westberliner Galerie „Unwahr“ und seit Februar in dem Ostberliner Kulturzentrum aktiv, erlitt Verbrennungen zweiten und dritten Grades sowohl am Oberkörper wie im Gesicht. Bei dem Versuch, ein durch eine brennende Benzinflasche verursachtes Feuer zu löschen, wurde S. von einem weiteren Brandsatz getroffen, seine Kunststoffjacke setzte sich in Brand und schmolz zum Teil in seine Haut ein, laut Augenzeugenberichten brannte auch sein Gesicht. Nach der Erstversorgung in einer Potsdamer Spezialaugenklinik wurde der Verletzte am Sonntag ins Kreuzberger Urban-Krankenhaus verlegt. Mittlerweile befindet er sich nicht mehr in Lebensgefahr, unklar ist jedoch noch, ob er jemals wieder vollständig oder eingeschränkt sehen kann.

Ebenfalls erheblich verletzt wurde die 19jährige Ostberlinerin Ulrike M.: Bei dem Versuch, einem Freund zu helfen, versetzten ihr die rechtsradikalen Randalierer einen Schlag mit einer Eisenstange. Der auf den Kopf gezielte Hieb traf ihre Hände, die sie schützend vors Gesicht gehalten hatte und zerschmetterte ihren rechten Daumen. Außerdem trug sie eine leichte Schädelverletzung davon. Die Abiturientin, die seit dem sechsten Lebensjahr Klavier und Geige spielt, befürchtet nun, daß ihr Daumen steif bleibt und sie deshalb kein Instrument mehr spielen kann.

Etwas glimpflicher kamen Clemens W., freier Maler in Ost -Berlin, und Kahled K., Organisator des Cafes, davon: Sie erlitten Platzwunden am Kopf, die im Krankenhaus genäht wurden. Die beiden anderen Verletzten haben laut Augenzeugenberichten tiefe Schnittwunden in der Hand und am Unterarm.

Der Überfall ereignete sich am Samstag gegen 1 Uhr 30. Laut Roger Schaumberg, einem der Aktivisten im Kulturzentrum, saßen zu diesem Zeitpunkt etwa 25 Leute, größtenteils Frauen, im Cafe „Zapata“, der ausgebauten Garage des Kulturhauses. Plötzlich stürzte einer der Bewohner herein und berichtete von „100 Skinheads, die über den Bauplatz kommen“. Wie Schaumberg erzählt, hatte in dieser Nacht niemand mit einem Angriff gerechnet. Nach anfänglicher Panik griffen die BewohnerInnen zu „allem, was wir fanden“, um sich zu verteidigen: „Wir konnten doch die Arbeit von drei Monaten in diesem Haus nicht einfach im Stich lassen!“ Eilends verbarrikadierten sie die Stahltür zum Hinterhof, wo sich die Angreifer sammelten, mit Brandflaschen, Feuerwerkskörpern und Ziegelsteinen warfen sowie Schüsse aus Leuchtpistolen abgaben. Innerhalb kürzester Zeit brachen sie die Tür auf und stürmten unter Rufen wie „Sieg Heil!“ und „Hooligans!“ in den Raum. Die dort Anwesenden flüchteten durch den Vorderausgang auf die Straße.

Als nach ca. 15 Minuten die von Anwohnern benachrichtigte Polizei mit mehreren Mannschaftswagen erschien, verschwanden die Angreifer über die Hinterhöfe. Schon zu Beginn des Überfalls standen zwei Polizeifahrzeuge vor dem Gebäude, die Besatzung griff aber nicht ein. Die anrückende Verstärkung konnte nur noch vier Personen festnehmen. Es handelt sich um Ostberliner, die in den nächsten Tagen wegen „Rowdytums“ dem Haftrichter vorgeführt werden.

Unklarheit herrscht in dem Kulturzentrum, aus welcher idiologischen Richtung die Angreifer kamen: Während Schaumberg glaubt, daß es sich um „faschistisch angehauchte Fußballfans“ handelte, gehen andere Bewohner davon aus, daß es Faschos und Skins waren, „die von der Weitlingerstraße aus gesteuert wurden“. Dort ist das Büro der neonazistischen Partei „Nationale Alternative“.

Am Pfingstmontag, zwei Tage nach dem mittlerweile vierten Überfall auf das Kulturzentrum, war die Stimmung in der Oranienburger Straße noch immer äußerst angespannt, Türen und Fenster mit Eisenstangen verschlossen. Der Schlag hat gesessen, aber „wir machen auf jeden Fall weiter, schließlich ist das hier das größte freie Kulturprojekt“, erklärt einer der Bewohner. Unschlüssig sind sich die Aktivisten über die weitere Vorgehensweise und den Grad der Zusammenarbeit mit der Polizei. Auf keinen Fall wollen sie „täglich Schlachten schlagen“ oder „mit Speeren vor der Tür Paraden abhalten“. Doch noch wirken fast alle BewohnerInnen wie unter schwerem Schock. Ulrike M.: „Das waren Monster und keine Menschen!“

maz (Siehe auch Chronologie der

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